„Früher haben wir viele Dinge falsch gemacht“

„Früher“, so berichten langjährige Schildkrötenhalter, „haben wir alle viele Dinge falsch gemacht. Wir wussten es halt nicht besser.“
Als in den Nachkriegsjahren das Wirtschaftswunder in Gang kam, die Sehnsucht nach Exotik immer größer wurde und jeden Sommer sich deutsche Urlauber zunächst nach Italien und dann später auch nach Kroatien aufmachten, wuchs auch der Wunsch, möglichst exotische Tiere zu halten.
Die dort heimischen Schildkröten wurden zu Hunderttausenden in den natürlichen Lebensräumen abgesammelt, viele wurden von den Einheimischen an die Touristen verkauft, viele landeten auch in den Zoohandlungen nördlich der Alpen. Ähnlich wie die aus den USA ebenfalls zu Tausenden importierten Rotwangenschmuckschildkröten wurden auch die Landschildkröten für wenig Geld an die Kunden verkauft, damals noch völlig unabhängig, wie alt die Käufer waren.
„Als ich 13 war, kaufte ich mir von meinem Taschengeld für 5 DM eine Schildkröte.“, erzählt Ralf Garnatz. „Es war eine Breitrandschildkröte. Sie war so groß wie ein Heiermann, also ein Fünfmarkstück. Da hat sich niemand darum gekümmert, ob Kinder Tiere kaufen durften oder nicht. Eine entsprechende gesetzliche Regelung trat erst viel später in Kraft.“SONY DSC
Das war die Zeit, in der auch Tausende von Rotwangenschmuckschildkröten ins Land kamen und ebenfalls für 5 DM verkauft wurden – für etwas mehr Geld gab es eine nierenförmige, transparent-blaue Plastikschüssel mit Plastikpalme dazu.
Landschildkröten erging es nicht besser. An eine Unterbringung in einem Freigehege mit Frühbeet oder Gewächshaus und entsprechender Technik dachte damals noch niemand: „Zeus lebte, während ich meine Ausbildung machte, in einem Schuhkarton mit Sägemehl.“ erinnert sich der Halter. „Ihr Futter bestand aus Tomaten, Banane und Kopfsalat. Im Oktober kam sie in den Keller mit Laub bedeckt und wurde ihrem Schicksal überlassen. Im Februar habe ich sie dann in mein Zimmer geholt, sie wurde wach und bekam ihr übliches Fressen. Weil ich dachte, sie hätte bestimmt Durst, habe ich ihr Wasser hingestellt. Das war’s dann auch schon.“.
So wie Zeus ging es vielen Schildkröten, nicht aus böser Absicht heraus wurden die Tiere so gehalten, sondern weil es die Halter einfach nicht besser wussten. Halter rückwirkend dafür zu verurteilen ist ebenso falsch wie der Vorwurf, sie hätten sich besser informieren sollen.
„Das wenige Wissen stammte von dem, was einem der Zoohändler erzählte und aus den eigenen Erfahrungen, die wir mit unserem Tier machten.“
Die Terraristik steckte in dieser Zeit noch den Kinderschuhen, zumindest für die breiten Bevölkerungsteile. Doch plötzlich tauchten im Handel Schildkröten auf, tropische Eidechsen, Geckos und Schlangen. Hin und wieder gab es auch Babyalligatoren. Sie saßen hinter Glas und faszinierten die Kunden im Geschäft. Ein Boom nahm seinen Anfang, ohne dass es wirklich gute Informationen über die Haltung dieser Tiere gab. Es fehlte eben auch noch an den vielen Erfahrungen und Plattformen, auf denen man sich hätte mit anderen Haltern austauschen können.
„Es gab zwar Bücher, aber da stand nichts Besonderes drin. Heute gibt es eine Fülle an Büchern, das Internet und viele gute Foren.“ so Ralf Garnatz weiter. „Was bei uns funktionierte, wurde eben weiter gemacht, wie zum Beispiel das Futter. Wir probierten aus, was die Schildkröte mochte. Fraß sie etwas, kam es eben auf den Speiseplan.“
Und so ging es mit allem anderen: „Der Frühling kam und die Schildkröte sollte in den Garten. Aber wie mache ich es, dass sie nicht abhaut? Bohrmaschine raus und hinten ein Loch in den Panzer. Schlüsselring durch und kleine Kette dran…fertig.“ Was heute undenkbar ist und für jüngere Halter nicht nachzuvollziehen, war in den 60er und 70er Jahren durchaus Standard. Fälschlicherweise nahm man an, der Panzer bestehe nur aus Horn, da könne man, ohne dass die Schildkröten Schmerz empfinden, ein Loch hineinbohren. So wurde das ja auch bei Kühen gemacht, denen man die Hörner absägte, oder bei Nashörnern im Zoo und bei Elefanten im Zoo oder Zirkus, bei denen man an den Stoßzähnen die Säge ansetzte.
Immerhin konnte Zeus den Sommer im Garten verbringen, erinnert sich Garnatz. „Wir haben ein kleines Haus gezimmert, Dachpappe drauf und fertig. Ab sofort hatten wir im Garten im Radius von vier Metern keinen Löwenzahn mehr. Wenn die Rosenblätter meiner Mutter abfielen, waren die am nächsten Tag auch weg. Ab und zu gab es für Zeus mal Tomatenstücke oder Gurke. So ernährte sich Zeus. Im Oktober folgte immer das gleiche: Das Tier kam in einen Schuhkarton und ab in den Keller.“
NN erzählt weiter: „Zehn Jahre später bin ich ausgezogen in mein eigenes Haus und der Garten bekam eine Mauer. Zeus kam natürlich mit in unser neues Heim und in den Garten mit Mauer, ohne Kette. Im Oktober hat er sich im Gemüsebeet eingegraben und im April tauchte er immer wieder auf und verschwand auch wieder wenn es kälter wurde. Letztes Jahr im April…nach 42 Jahren kam er nicht mehr raus. Wir haben alles umgegraben aber nichts gefunden. “
Mit dem Verlust des Tieres setzte auch das große Umdenken ein: „Die Haltung von Zeus war nach dem heutigen Stand nicht artgerecht aber er hat 42 Jahre überlebt, ohne Tierarzt und Wurmkur. Trotzdem wollten wir das nicht wiederholen.“
Familie Garnatz entschied sich, noch einmal ganz von vorne anzufangen und auf dem heutigen Wissensstand aufzubauen: „Wir haben uns zwei junge Breitrandschildkröten gekauft und dank der Tipps aus dem Internet ein Gehege mit allem Drum und Dran gebaut. Wir haben jetzt natürlich ein Frühbeet mit Wärmelampe und einer beheizten Schlafgrube. Alles elektronisch gesteuert und im Gehege haben wir alles gepflanzt was hier wächst und was die Schildkröten fressen. Auch sind beide registriert und werden jeden Monat gewogen und gemessen. Sie leben das ganze Jahr im Garten und wir überlegen, 100 Quadratmeter als reines Schildkrötenland abzutrennen, um noch einige aus Tierheimen aufzunehmen. Wir sammeln alles an Kräutern, was zu finden ist. Ich denke mal, dass Zeus 2 und Spartakus mich überleben werden.“

Text: Ralf Ganatz und Lutz Prauser. Bild: Lutz Prauser. Alle Rechte bei den Autoren.

3 Kommentare


  1. Hi,

    der Artikel hat mich amüsiert. Auch ich habe eine wirklich jahrzehntelange Erfahrung mit der Haltung ganz verschiedener Schildkrötenarten. Und wenn ich eines dabei gelernt habe, ist es dass die „artgerechte“ Haltung von heute häufig die Falschhaltung von morgen ist. Vieles ist gekommen, gegangen und dann doch plötzlich wieder erschienen, weil man es im „Lichte neuer Erkenntnisse“ für nicht so schlecht hielt wie zwischenzeitlich gedacht. Teilweise kamen solche Wiedergänger in neuer Zusammenstellung, wie z.B. die kombinierte Freiland-/Terrarienhaltung (Frühbeet!), die wir derzeit empfehlen, die aber nicht so heißen darf, weil sie sich unbedingt von der falsch durchgeführten reinen Terrarienhaltung von gestern abgrenzen möchte.

    Ich glaube, dass auch nicht alle unsere heutigen Empfehlungen dauerhaft Bestand haben werden. Die Zukunft wird es zeigen! Die Lehre daraus ist, nie aufzuhören Empfehlungen zu hinterfragen und „Verbote“ auf ihre Sinnhaftigkeit abzuklopfen…

    Editha K.


  2. Bitte mehr davon.
    Da kommen Erinnerungen durch.
    Unsere kostete auch 5 Mark und war ein Russe, wie ich heute weis.
    Das Loch blieb ihr erspart, dafür war sie im Sommer draussen in diesen hölzernen Kinderlaufstall mit Maschendraht umrandet.
    Der Schuhkarton blieb ihr auch erspart. Wir hatten eine runde Mörtelwanne mit Erde und Laub im Keller.
    Das Futter war ähnlich, nur freuten wir uns immer wenn er Regenwürmer und Vogelschitte fras.
    50 Jahre ist diese zähe Schildkröte geworden, trotz dieser schlechten Haltung.
    Peterle hies sie und es war bei uns ein beliebtes Spiel, wenn sie lief, sie zu nehmen und wieder zurück zu setzen. Sie wurde dann immer schneller, Gott wenn ich da heute dran denke.
    Meine Wiedergutmachung für Peterles Leiden:
    Ein 100qm Freigehege mit Frühbett, Überwinterungsgrube und allem dum und dran.
    Und nur Peterles auf Auffangstation oder aus schlechter Haltung.


  3. Ich hoffe nur, die beiden Breitrandschildkröten sind keine Männchen,denn
    nach Eintritt der Geschlechtsreife werden diese äusserst aggressiv und müssen getrennt werden.
    Ich kann ein Lied davon singen.

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