Isen ist eine kleine Marktgemeinde am östlichen Rand des Landkreises Erding in Oberbayern. Ein Ort, der wohl jenseits des Großraums München kaum jemand bekannt ist. Wie sollte er auch, Isen ist natürlich nicht mit dem weltweit berühmten Isengard, der Heimat Saurons gleichzusetzen. Etwas über 5.000 Menschen leben in dieser Kleinstadt im oberen Isental, etwa 40km östlich von München in dem Landschaftsabschnitt, der seit 40 Jahren zum Gegenstand eines erbitterten Streits zwischen den Einwohnern und der bayerischen Staatsregierung darstellt. Denn die Autobahn München-Passau wird schon bald durch dieses Tal führen, allen Widerständen zum Trotz.
Trotz der mittlerweile umfangreichen Bauarbeiten und der damit einhergehenden großräumigen Landschaftszerstörung scheint in Isen und den umliegenden Gemeinden die Zeit eine gemütlichere Gangart gewählt zu haben als in der Großstadt. Abgesehen von den beiden Supermärkten am Nord- bzw. am Südende des Ortes fällt spätestens Samstag Mittag eine Gemütlichkeit über das Land, werden die Gehwege gekehrt und eingerollt. Wozu das gut sein soll, fragt man sich, nimmt doch der Straßenverkehr auch merklich ab – die Motorradfahrer auf ihren Wochenendausritten einmal abgesehen. Da muss man nicht doch auch noch die Bürgersteige einrollen.
Unter der Woche ist das anders. Da wälzt sich eine Blechlawine morgens gen München und abends zurück. So ist es kein Wunder, dass es nicht wenige gibt, die heimlich, still und leise die Fertigstellung der Autobahn herbei sehnen. Dann endlich wird es wieder ruhiger auf den Straßen der Dörfer.
Wenn das nur kein Irrtum ist…
Denn mit der Autobahn kommt auch die Strukturveränderung, und damit auch die Veränderung der Ortschaften. Links und rechts der Autobahn wachsen in Auffahrt-Nähe Industrie- und Gewerbegebiete, die Dörfer und Städte weisen Siedlungsgebiete aus, die Städtchen expandieren – wenn sie nicht explodieren. Jeder möchte zu dieser Wachstumsregion dazugehören, die östlichen Landkreise haben nicht nur dank des Flughafens München und anderer Jobmotoren nahezu Vollbeschäftigung, eben auch wegen dieser Industrieansiedlung.
Industrie braucht Logistik, Logistik braucht (unter anderem) den Straßenverkehr. Straßenverkehr entsteht durch Personen- und Lastkraftfahrzeuge, und die wiederum brauchen Reifen.
Damit kann man handeln – idealerweise natürlich in einem kleinen oder größerem Gewerbegebiet.
Das ist auch in Isen so. Und hier schließt sich der Kreis – wie ein Autoreifen.
Nur ist nicht ganz klar, was das Ganze mit Schildkröten zu tun hat. Die nämlich gibt es in und um Isen nicht – zumindest keine lebenden Exemplare in irgendeinem Weiherm nicht mal ausgesetze amerikanische Schmuckschildkröten. Und doch ist Isen nicht schildkrötenfrei, wie der Lieferwagen des örtlichen Reifenhändlers eindrucksvoll dokumentiert. Dort prangt nämlich auf der Rückfläche wie auch auf den Seitenflächen des Lieferwagens ein etwas eigentümliches Emblem.
Ein Schildkrötenhybrid, umkränzt von einem schweren Reifen. Die animierte Schildkröte mit Freak-Blick und provokant-frech herausgestreckter Zunge hat jedoch keine Extremitäten sondern sitzt auf einem „Fahrgestell“ auf. Dieses besteht aus zwei Steinwalzen und zwei Holzteilen. Beides bestens bekannt ist diese Konstruktion von dem Steinzeitauto von Fred „Yabba Dabba Doo“ Feuerstein.
Ist die Verbindung zwischen Schildkröten und dem Steinzeitcomic-Helden noch nachvollziehbar, denn beide sind ja irgendwie archaisch, so bleibt das Ganze an sich doch ein Rätsel.
Was bitte haben Schildkröten mit Autoreifen zu tun? Gummiherstellung und Vulkanisation sind zwat keine hypermodernen Errungenschaften der Technik, aber doch weit davon entfernt, steinzeitliche oder archaische Technologie zu sein.
Und überhaupt haben der Symbolgehalt und das Image, das Schildkröten bei weiten Teilen der Bevölkerung haben, nicht unbedingt viel Verbindung zu Auto, Technik, sportlichem oder schnellem Fahren. Es passt irgendwie nicht zusammen. Das ist auch im Isental nicht anders. Möglicherweise soll die Schildkröte Sicherheit und Beständigkeit hinweisen, aber für Autoreifenwerbung wäre das eine steile Transferleistung. In asiatischen und amerikanischen Comics sind immer wieder Schildkröten zu sehen, die sich wie ein Panzer auf Ketten bewegen, das ist ja noch einigermaßen nachvollziehbar… Aber hier erschließt sich die Motivwahl nicht. Ein Anruf bei Efe’s Reifenhandel könnte vielleicht zur Klärung beitragen.
Vielleicht könnte es aber auch ein ziemlich sonderliches Gespräch werden, den Händler anzurufen und zu fragen, warum er denn eigentlich überdimensionale Schildkrötenbilder auf seinen Sprinter hat anbringen lassenpeinlich werden…
Außerdem ist Wochenende, Samstag. Da erreicht man niemanden. Außer natürlich in den beiden Supermärkten, denn die haben ja auch am Nachmittag noch geöffnet.
Gefreut hat es mich trotzdem, das Auto, dass mir schon mehrfach auf den Straßen in unserer Gegend aufgefallen war, beim Einkaufen auf dem Parkplatz eines der beiden Isener Supermärkte wiederzusehen.
Schildkrötenfreunde erkennen sich schnell. Irgendwie.
Text und Fotos: Lutz Prauser
PS: Wir haben uns beim Titel dieses Beitrags und bei der Nennung des Firmennamens allerdings an der Originalschreibweise angelehnt, auch wenn diese falsch ist, denn das Genitiv-S gibt es im Deutschen nicht.
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Hallo Lutz
sicher nur ein kleines Versehen: Sauron lebte in Barad-dûr, Du meinst sicher Saruman, der in Isengard zu Hause war.( Die Zwei Türme )
Gruß Kurt