Kringelmuster im Panzer – Wachstumsphänomen oder problematische Veränderung?

Abb. 1, Testudo marginata 1, Jungtier wildlebend, Dorsalansicht

1. Einleitung

Bei jungen Landschildkröten und etwas seltener auch bei älteren Tieren beunruhigen den Halter gelegentlich hieroglyphenartige weiße Linien und Kringel im Hornpanzer (Abb. 7-10), weil sie stark an Fraßgänge von Parasiten erinnern. Manchmal ist dieses Phänomen sogar von einer leichten Rotfärbung der Wachstumsringe entlang der Schilde des Plastrons begleitet. Bei Landschildkröten aus gemäßigten Zonen ist dieses Kringelmuster am auffälligsten im Frühling und Frühsommer während der Hauptwachstumsphase, tritt aber auch bereits bei Schlüpflingen vor dem ersten Winterschlaf auf. Gegen Ende der Sommersaison schwächt sich das Phänomen ab, um während der Vorbereitungszeit auf die Winterruhe fast völlig oder sogar ganz zu verschwinden. Auch während der eigentlichen Winterstarre und kurze Zeit danach, sind diese eigenartigen Muster im bzw. unter dem Horn nicht sichtbar.

Abb. 2, Testudo marginata 1, Jungtier wildlebend, Ventralansicht, dieses Tier zeigt leicht rötliche Ränder entlang der Plastralschilde

Diese Linien werden im Ratgeber „Schildkrötenkrankheiten“ von Lutz Sassenburg zwar als Fraßspuren von Trematoden bezeichnet, es scheint aber trotzdem noch nicht geklärt zu sein, was sie tatsächlich verursacht bzw. woraus sie bestehen. Genauso wenig weiß man, ob sie in ursächlichem Zusammenhang mit den – allerdings seltener auftretenden – rötlichen Plastronbereichen stehen. Es ist nicht einmal sicher, ob hier physiologische oder pathologische Phänomene vorliegen. Eine Nachfrage bei Fachtierärzten, Biologen, Feldforschern und erfahrenen Schildkrötenhaltern im In- und Ausland ergab einige Vermutungen, aber keine übereinstimmende Ursachenangabe. Vermutet wurden u.a. relativ harmlose Lufteinschlüsse durch zu schnelles Wachstum, Pilzinfektionen, Cholesterinablagerungen bzw. auch eine zu feuchte Überwinterungspraktik. In der Natur wurde dieses Phänomen bislang noch selten beobachtet und in der Literatur unseres Wissens nach auch bisher noch nicht näher beschrieben. Im folgenden zeigen wir eine solche Musterbildung auch bei drei wildlebenden Breitrandschildkröten Testudo marginata, die vom Mitautor K. Mariolis im Mai 2008 auf einer der Inseln in der Präfektur Piräus in Griechenland gefunden und fotografiert wurden.

Abb. 3, Testudo marginata 1, Detailansicht (3. Vertebrale), die weißen Kringel sind deutlich erkennbar
Abb. 4, Testudo marginata 2, Jungtier wildlebend, Dorsalansicht,
auf dem Carapax dieses Tieres sind die Linien schwächer ausgeprägt als bei Tier 1

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

In Abb. 3 erkennt man deutlich die gleichen hellen Linien und Kringel, wie sie die anderen Autoren auch bei ihren Nachzuchttieren beobachten konnten. Eines der Tiere weist zudem eine deutliche Rotfärbung am Plastron auf (Abb. 2).

Abb. 5, Testudo marginata 2, Detailansicht des Plastrons mit deutlichem Kringelmuster, bei diesem Tiere ist ebenfalls eine – wenn auch deutlich schwächere – rötliche Schattierung zu erkennen.

3. Veränderliches Erscheinungsbild dieses Phänomens

Obwohl diese Musterbildung immer wieder in den Internetforen diskutiert wird, ist es nach unserer Erfahrung sowohl bei den betroffenen Schildkrötenhaltern als auch bei Fachtierärzten wenig bekannt, dass die Kringel stark veränderlich sind, ja regelrecht zu fließen scheinen (Abb. 7, Abb. 8). Beobachtet man die Muster im Verlaufe einiger Wochen genauer, tauchen zunächst kleine helle Punkte bzw. Flecken auf und breiten sich dann nahezu ringförmig aus. Dabei verschmelzen die entstandenen Ringe teilweise mit anderen und ergeben dadurch ein ähnliches Muster wie aneinander stoßende Seifenblasen.

 

 

Abb. 6, Fundort von Testudo marginata 2, Präfektur Piräus

Bei Schildkrötenarten mit hellen Zuwachsstreifen (T. horsfieldii und T. hermanni) sieht man, dass sich auch gerade, weiße Linien parallel zu den Schildernähten formieren. Vor allem diese Beobachtung legt die Vermutung nahe, dass es sich hier um Aufbauprozesse des Hornpanzers handeln könnte, denn an diesen Stellen findet auch das stärkste Hornwachstum statt (Alibardi 2005). Meist bemerkt der Halter diese eigenartigen Muster auch zum ersten Mal beim Einsetzen der besonders starken Wachstumsschübe nach dem ersten Winterschlaf. Gelegentlich treten sie aber schon kurz nach dem Schlupf auf (Abb. 15 ).

Den beschriebenen veränderlichen Verlauf möchten wir anhand der Musterung der vierten Vertebrale ein- und desselben Tieres zeigen. Es handelt sich um eine zweijährige Testudo graeca, die wir jeweils im Abstand von 3 Wochen fotografiert haben (Abb. 7-10). Das Kringelmuster verändert sich von Foto zu Foto deutlich. Kurz vor der Winterruhe dieses Tieres, also nach Abschluss des jährlichen Wachstums, waren mit bloßem Auge keine Kringel mehr sichtbar. Lediglich in der fotographischen Vergrößerung zeigt sich noch eine diffuse „Wolkenbildung“ (Abb. 10). Wie die Änderung eines bestimmten Punktes im Verlauf nur weniger Tage vonstatten geht, zeigen Abb. 11 – 12, fotografiert im Abstand von jeweils drei Tagen.

Abb 7 – Zum Vergrößern bitte auf die Bilder klicken.
Abb. 8
Abb. 9
Abb. 10, Testudo graeca, DNZ, zweijährig

Ein Vergleich verschiedener Schildkrötenarten ergibt leichte Unterschiede in Stärke, Musterung und Ausprägungsort der Kringel. Bei der Zweitautorin E. Krüger weisen Maurische Landschildkröten trotz vergleichbarer Haltung – und unabhängig von der individuellen Wachstumsgeschwindigkeit – eine wesentlich großflächigere Musterbildung auf als Griechischen Landschildkröten. Bei Testudo graeca und Testudo marginata erkennt man diese Muster auch unter den ehemaligen Embryonalschilden und den etwas älteren Wachstumsringen, während bei Testudo horsfieldii bzw. bei Testudo hermanni die weißen Linien – jenseits des Schlüpflingsalters – lediglich in den neueren Wachstumsstreifen zu erkennen sind.

Abb. 11 – 12, Testudo h. boettgeri, DNZ, 2 Monate alt
Abb. 12

Diese eigenartige Musterung fällt daher bei kleinen Maurischen Landschildkröten wesentlich stärker auf als bei Griechischen Landschildkröten. Vermutlich kommen diese Unterschiede zwischen den Arten aufgrund der arteigenen Panzerfärbung oder Hornbeschaffenheit zustande, d. h. die Kringel würden zwar an den gleichen Stellen gebildet, wären aber nicht unbedingt an den selben Stellen auch sichtbar. Eventuell könnte dieses Phänomen bei verschiedenen Arten oder Individuen auch unterschiedlich stark ausgeprägt sein.

Abb. 14, Testudo horsfieldii, DNZ, zweijährig
Auch hier ist nach 5 Wochen das ursprüngliche Muster verschwunden, dafür hat sich eine gerade Linie gebildet
Abb. 13

Das Phänomen ist jedoch nicht nur auf Jungtiere beschränkt, wie die Abb. 17 -19 beweisen. Die Muster sind bei den Adulti allerdings schwächer ausgeprägt und mit unseren fotografischen Mitteln kaum darstellbar. Besonders interessant ist hierbei wieder der Nachweis bei einem wildlebenden Tier. Abb. 16 – 17 zeigen Panzerdetails einer weiblichen Testudo marginata, die im selben Gebiet gefunden wurde wie die oben erwähnten Jungtiere. Auch bei dieser vermutlich sehr alten Schildkröte sind an einer ehemaligen, inzwischen wieder mit einer Hornschicht überzogenen Panzerverletzung und im Bereich einiger jüngerer Zuwachsringe noch schwache Kringelmuster zu erkennen. Abb. 18 – 19 zeigen entsprechende Muster bei schon längere Zeit in Gefangenschaft lebenden adulten Wildfängen von Chersina angulata und Testudo horsfieldii.

Abb. 15, Testudo hermanni boettgeri, DNZ, 2 Monate alt. Bei diesem nur zwei Monate alten Jungtier sieht man die Kringel auch in den schwarzen Bereichen des Bauchpanzers, besonders auffällig sind sie längs der ehemaligen embryonalen Bauchfalte.

Die beschriebenen hellen Kringelmuster im Panzer treten besonders bei sehr jungen Landschildkröten auf, meist zum ersten Mal nach dem ersten Winterschlaf, also zu einem Zeitpunkt, zu dem die Schlüpflinge gerade von noch unerfahrenen Schildkrötenhaltern übernommen wurden. Sie lösen deshalb immer wieder Furcht vor Parasitenbefall aus und bewirken besorgte Anfragen bei Tierärzten bzw. in Internetforen. Dies ist insbesondere dann der Fall, wenn diese Musterbildung auch noch von einer Rotfärbung am Bauchpanzer begleitet wird. Auch wenn es einen allgemeinen Konsens unter den erfahrenen Halten zu geben scheint, dass die Kringelbildung alleine nicht problematisch sei und sich wieder „verwachse“, wird sie meist auf zu starke Fütterung durch die neuen Halter und dadurch verursachtes unnatürlich schnelles Wachstum geschoben. Die hier gezeigten Beispiele dreier wildlebender Breitrandschildkröten aus Griechenland legen jedoch die Vermutung nahe, dass dieses Phänomen nicht durch falsche Gefangenschaftshaltung ausgelöst wird, sondern dass es sich entweder um eine Erscheinung handelt, die jedes normale Panzer-Wachstum begleitet oder um einen pathologischen Prozess, der so auch im Habitat vorkommt.

Abb. 16 Testudo marginata (w), adult, wildlebend

Folgende Hintergründe wären demnach denkbar:

Pathologische Prozesse, z.B. Gewebewasseraustritte als Folge von Reizungen oder Entzündungserscheinungen der unter dem Horn liegenden Knochenhaut, evtl ausgelöst durch suboptimale Umweltbedingungen und/oder Futterprobleme. Physiologische Wachstumsvorgänge, die sich beim horizontalen und vertikalen Aufbau des Hornpanzers in den Wachstumsringen und in der Schicht zwischen ausgehärtetem Horn und Knochen abspielen. Die begleitende Rotfärbung, die gelegentlich zusammen mit Kringebildung auftritt, erinnert etwas an die roten Verfärbungen des Panzers, die in Folge einer Blutvergiftung (Sepsis) durch Entzündungen auftritt.

Abb. 17 Testudo marginata (w), adult, wildlebend

Zusammen mit dem „fließenden“ Eindruck, den der veränderliche Verlauf der Kringel macht, ließ uns diese Rotfärbung zunächst an Entzündungserscheinungen der Knochenhaut unterhalb des Hornpanzers mit Gewebewasseraustritten denken. Gefangenschaftstiere, die gleichzeitig Kringel und rote Ränder um die Plastralschilde haben, wirken allerdings trotz dieser Anzeichen gesund (A. Saus, pers. Mttlg.). Auch die jungen Breitrandschildkröten im Habitat machten einen gesunden Eindruck und setzten festen Kot ab. Die Jungtiere der Autoren zeigten zudem trotz kräftiger Kringelmusterung im Frühjahr keinerlei rötliche Färbung und waren gesund und fit. Trematodeninfektionen, als pathologische Ursache für das Entstehen dieser Kringelmuster von Sassenburg (2000) beschrieben, wären nicht direkt von Schildkröte zu Schildkröte übertragbar, weil ihre Fortpflanzung meist an Zwischenwirte gebunden ist.

Abb. 18, Chersina angulata, WF, adult

Die beschriebenen Kringel und Linien treten aber auch bei Nachzuchttieren in Gefangenschaftshaltung auf, wo diese Zwischenwirte nicht zur Verfügung stehen. Außerdem wären die hier beschriebenen, relativ kurzfristigen Veränderungen im Muster nicht möglich. Es kann sich bei dem Phänomen, das wir bei unseren Nachzuchttieren häufig sehen, also unserer Meinung nach nicht um Fraßspuren dieser Saugwurmart handeln.

Die Häufigkeit des Phänomens bei ansonsten gesund wirkenden Jungtieren und der Nachweis im Habitat sprechen unserer Meinung nach dafür, dass die beschriebene Musterbildung Ausdruck natürlichen Panzerwachstums ist. Die Kringel und Linien sind zudem am stärksten ausgeprägt und am längsten genau entlang der Stellen zu beobachten, an denen jenseits des Embryonalstadiums besonders viele Wachstumskerne für Keratinozyten (Hornwachstum) angesiedelt sind, nämlich längs der Schildnähte (Alibardi 2005). Die hier beschriebene, veränderliche Musterbildung könnte dadurch zustande kommen, dass man die im Epithel ganz frisch gebildeten Keratinozyten – vermutlich aufgrund noch unterschiedlichen optischen Verhaltens – bei der Wanderung durch die schon transparentere Hornschicht beobachten kann, ein Vorgang der nach Alibardi (2005) etwa 5-9 Tage dauert. Wenn dieses Phänomen tatsächlich eine natürliche Begleiterscheinung des normalen Panzerwachstums ist, kann es eventuell sogar im Herbst einen guten Hinweis darauf geben, ob eine Schildkröte noch einen akuten Wachstumsschub hat und daher besser noch nicht eingewintert wird, oder ob sich das Tier bereits auf den kommenden Winter einstellt und schon seit längerem nur noch wenig bis gar nichts mehr gefressen hat.

Abb. 19, Testudo horsfieldii, WF, ca. 30 Jahre. Auch bei diesem adulten Tier sind feine Kringel erkennbar

Um die wahre Ursache beider Phänomene ermitteln zu können, wären allerdings Gewebeuntersuchungen nötig, zu denen die Autoren leider keine Möglichkeit haben. Wir hoffen aber mit der hier vorgestellten Beobachtung, insbesondere dem veränderlichen Verlauf der Musterung und dem Nachweis an wildlebenden Tieren, eine Anregung zu geben, dieses Phänomen mit wissenschaftlichen Methoden genauer zu untersuchen und abzuklären, ob es ein besorgniserregendes Zeichen falscher Umweltbedingungen ist oder – wie wir vermuten – Ausdruck des normalen Hornwachstums.

5. Literatur

Lorenzo Alibardi (2005): Proliferation in the Epidermis of Chelonians and Growth of the Horny Scutes. – J. of Morphology 265:52–69
Lutz Sassenburg (2000): Ratgeber „Schildkrötenkrankheiten“. – Bede Verlag, Ruhmannsfelden

6. Bildnachweis

Abb. 1-6, 16-17, K. Mariolis; Abb. 7-10, 15, E. Krüger; Abb. 13-14, 19, A. Winter; Abb. 11-12, M. Frost

7. Danksagung

Wir bedanken uns bei den befragten Tierärzten, Biologen und Schildkrötenhaltern für ihre Auskünfte, sowie bei Marion Frost für die Überlassung der Bilder.

Quelle: Dieser Artikel erschien im Juni 2008 auf der Internetseite von Editha Krüger www.graeca-home.de, wurde im Oktober 2011 überarbeitet und erscheint mit Zustimmung der Autoren nun erneut auf www.Testudowelt.de.

Text: Annemarie Winter, Editha Krüger und Kosta Mariolis. Die Bilder im Beitrag stammen von den Autoren und von Marion Frost


Ein Kommentar


  1. Liebe Schildkrötenhalterinnen,
    aufgrund eigener Erfahrung möchte ich darauf hinweisen, dass Schildkröten großer Gefahr ausgesetzt werden, wenn sie den Garten mit einem Hund teilen. Unsere 10jährige Hündin hat ein gutmütiges Wesen, sie ist auch eine sehr Gehorsame. Dennoch hat sie gestern an unserer Schildkröte geknabbert. Der Reptilien Arzt meinte dazu, sie wäre eben ein Hund, und man könne ihr deswegen keinen Vorwurf machen. Wie recht er hat und wie blauäugig dagegen waren wir, ihr zu vertrauen! In 5 Jahren hatten wir nie Ansätze bemerkt , dass sie einmal eine Schildkröte wie einen Kauknochen behandeln könnte. Auch wies er darauf hin, dass es sehr viele ähnliche Fälle gäbe. Die HundebesitzerInnen wären jedesmal wie vor den Kopf gestoßen, nie würden sie ihren Hunden solche Übergriffe zutrauen. (sogar ausgebildete Rettungshunde wurden schon zu Tätern!) Bei uns ist die Sache noch glimpflich ausgegangen, da ich bald einschreiten konnte. Trotzdem wurde der Schildkrötenpanzer durch die Bisse angegriffen und meine Schildi muss Antibiotika einnehmen. Wir haben dementsprechende Vorkehrungen getroffen. Es ist mir ein großes Anliegen, diese Erfahrung weiterzugeben! Ich habe eine sehr innige Beziehung zu meiner Hündin, nie im Leben hätte ich ihr Derartiges zugetraut. Bitte seid vorsichtig, warum wohl sollte sich auch ein Hund mit einem Reptil anfreunden? Dieser Gedanke war wohl zu menschlich gedacht.

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