Der Text erschien zuerst in der Zeitschrift Schildkröten im Fokus Ausgabe 03/2018
„Wo ist das denn?“
Die Reaktionen waren einhellig, fast immer standen meinen Gesprächspartnern die Fragezeichen auf der Stirn, wenn es um Schilderungen unserer Urlaubspläne 2017 ging. Wurde ich gefragt, wohin es denn ginge oder erzählte von mir aus davon, dass wir im Juli nach Euböa flögen, wussten die wenigsten damit etwas anzufangen. Der Name Euböa sagte den wenigsten etwas.
Das ist nicht weiter verwunderlich. Obwohl Euböa nach Kreta die zweitgrößte griechische Insel ist, ist sie unter den Mittelmeerurlaubern wenig bekannt. Das mag daran liegen, dass Euböa nicht gerade übersäht ist mit antiken Stätten, berühmten Tempel- oder Theaterbauten. Auch die unter Urlaubern gern gebuchten Pauschalarrangements fehlen fast vollständig. Es gibt keine endlosen Partystrände, an denen die Nacht zum Tag gemacht wird – und wer typischen Griechenland-Kitsch und, Klischees und Kulissen sucht, wie man es aus Filmen wie „Mamma Mia“ kennt, ist auf Euböa fehl am Platz.
Urlaub machen dort überwiegend die Griechen selbst. Athen ist knapp 50km entfernt. Viele Hauptstädter haben Wochenend- und Feriendomizile auf der Insel, und Griechen brauchen nun mal keine Strandsouvenirbuden mit bedruckten T-Shirts und Handtüchern, Gips-Repliken antiker Statuen, bunten Tassen, Schneekugeln mit Akropolisnachbildungen und anderen Kitsch und Krempel.
Wer im Buchhandel nach speziellen Reiseführern über Euböa sucht, wird ebensowenig fündig wie derjenige, der gute Wanderführer oder Karten benötigt, was ich sehr bedauerlich fand. Euböa wird in den allgemeinen Reiseführern lediglich auf wenigen Seiten abgehakt – es ist eben kein Hotspot.
Gerade deshalb – und der Schildkröten wegen – haben meine Frau und ich die Insel im Sommer 2017 besucht, angeregt durch einen Vortrag auf der Salzburger Schildkrötentagung im Herbst 2016. Selten habe ich bei einem Vortrag so schnell mitgeschrieben: Ortsnamen und Stellen, an denen der Referent Schildkröten gefunden hatte. Eine flüchtige Skizze der Insel, ein paar Kreuze, wo der Vortragende Schildkröten gefunden hatte. Der Entschluss stand schnell fest: Da will ich hin.
Mit etwas Glück wurden wir auf einem Ferienwohnungsportal fündig, fanden ein geeignetes Ferienhaus in der Nähe von Karystos ganz im Süden der Insel. Der Besitzer, ein Deutscher, der nach Schottland ausgewandert ist, versorgte mich via Mail und WhatsApp mit allerlei hilfreichen Informationen, auch konnte er bestätigen, dass er schon oft Schildkröten in unmittelbarer Nähe seines Ferienhauses gefunden hatte. Er schickte ein paar Bilder, ein paar gute Ratschläge zur Schildkrötensuche und beantwortete bereitwillig weitere Fragen.
Einer der besten Tipps war es, sich nicht in Athen am Flughafen einen Mietwagen zu organisieren, sondern mit dem Schnellbus nach Rafina zu fahren, dort als Fußgänger die Fähre nach Marmari zu nehmen und erst in Marmari am Hafen sich den zuvor gebuchten Mietwagen aushändigen zu lassen. Das spart nicht nur enorm Kosten, denn Bus und Fähre sind enorm günstig, es spart auch die Nerven, sich nicht mit dem Auto durch Athen quälen zu müssen.
Leider lag unsere Reise nicht in der optimalen Zeit, um auf Schildkrötensuche zu gehen, aber manchmal geht es eben nicht anders. Und so waren wir Anfang Juli auf der Insel, just zu einer Zeit, in der es wochenlang eine enorme Hitzewelle in Europa gegeben hatte. In Athen wurden Temperaturen von über 38°C gemessen, nicht viel weniger auf den Inseln vor der Küste. 14 Tage werden wir bei Tageshöchstwerten von 30° bi 36° C auf der Insel verbringen, kühler ist es nur, wenn ein starker Wind weht, zweimal zieht von Westen, vom Festland her, kräftige Gewitter heran, die sich dann allerdings als kurze warme Sommerregen entpuppen.
Uns erwartet in der Küstenregion eine unwirtliche Landschaft, fast eine Steinwüste mit zahlreichen vertrockneten Sträuchern und Gräsern und 4). Hier soll es Schildkröten geben? Im Inselinneren, etwas höher gelegen, dort, wo es noch grün war, ja: Aber hier?
Karystos liegt Ende einer Bucht, die sich nach Süden der Ägäis öffnet, auf der westlichen Seite dieser Bucht reicht eine hügelige Halbinsel weit ins Meer. Hier haben wir unser Feriendomizil bezogen, laut Vermieter fände man dort Schildkröten in großer Zahl…. Ernsthaft?
Einmal mehr reichte meine Phantasie kaum aus, mir das vorzustellen, und einmal mehr sah ich mich getäuscht. Es gab sie wirklich, zwar nicht hinter jeder Kurve am Straßenrand, wie uns der Vermieter geschrieben hatte, aber doch. Es war nur nicht ganz so einfach sie zu finden – und vor allem nicht in der Menge, wie ich mir das gewünscht hatte.
Vierzehn Tage lang durchstreife ich das Gebiet, orientiere mich immer an den ausgetrockneten Bachläufen, die mich hinauf zu dem Bergkamm führen. Während das Land mittlerweile weitgehend verdorrt ist, hält sich links und rechts der sandigen Bachläufe noch immer viel Grün.
Und hier finde ich, wenige hundert Meter vom Meer entfernt, zunächst Spuren von Schildkröten: Kot, Eierschalen und Knochenteile – noch nie habe ich in einem Urlaub so viele Knochenteile von Schildkröten entdeckt – darunter ein halbes Dutzend vollständiger Panzer.
Der Verdacht liegt nahe, dass hier vor einiger Zeit der Hang in Flammen stand, und die Tiere Opfer des Feuers waren. Anders lässt sich die große Zahl der unzerstörten Panzer kaum erklären. Auch hat der Vermieter des Ferienhauses mir in einer seiner Mails von den vielen Bränden erzählt.
In den Bachläufen finde ich Breitrandschildkröten. Meist sind es noch recht junge Exemplare.
Text und alle Bilder: Lutz Prauser. Alle Rechte beim Autor.