Das Gras und ich

Von Alexandra Martin

Ich könnte mir ja auch über sinnvolle Sachen Gedanken machen, zum Beispiel darüber, wie man den Geschirrspüler so einräumt, dass mehr rein passt oder über das Bruttoinlandsprodukt von Honduras…

Mein Hirn neigt allerdings dazu sich selbständig zu machen und bisweilen leicht auf Abwege zu geraten. So geschehen heute im heimischen Garten.
Ergebnis meines wirren Gedankenspaziergangs war folgendes:
Gras ist doch wirklich ein Sadist und seine einzige Intention ist es uns arme Menschen zur Verzweiflung zu bringen!
Wer jetzt nicht sofort weiter scrollt und sich fragt ob ich denn schon professionelle Hilfe bekomme, dem möchte ich gerne erklären wie ich zu diesem Schluss komme, doch dazu muss ich ein wenig ausholen.
2004 kauften mein Mann und ich uns ein Haus. Wie der komplette 70er-Jahre Bau, so war auch der Garten stark vernachlässigt.
Eine winzige, feuchte und dunkle grüne Hölle befand sich da hinter dem Haus.
Als wir im nächsten Jahr Zeit fanden, uns diesem Elend anzunehmen waren wir doch sehr überrascht, wie viel Platz, Licht und Sonne wir fanden, nachdem wir verholzte Büsche, Brennnesseln und vor allem eine riesen Thuja Hecke abgeholzt und entsorgt hatten.
Nach unserer Gewaltaktion tat sich allerdings ein neues Problem auf. Die grüne Hölle war zwar Geschichte, allerdings hinterließ sie eine braune Ödnis, die weder fürs Auge recht angenehm, noch ein angemessener Spielplatz für unsere fast einjährige Tochter war.
Eine schnelle Lösung musste her!
Rasen ansäen, gießen, den Samen von den Vögeln auffressen lassen, wieder ansäen und gießen und vor allem warten, warten, warten, klang irgendwie nicht verlockend und zu langwierig, also nahmen wir ein paar (oder ein paar mehr) Euros in die Hand und gönnten uns einen Hänger voll Rollrasen.
Herrlich!


Binnen eines Nachmittags verwandelte sich unser Erdhaufen in einen netten grünen Garten.
Stolz wurde natürlich sofort das Töchterlein herangeschleppt, zur Präsentation.
Das Kind war von der plötzlichen Veränderung allerdings so verwirrt, dass sich statt der erwarteten Begeisterung pures Misstrauen einstellte.
Jedes Mal, wenn wir versuchten sie auf die neue Wiese zu stellen, zog sie die kleinen Beinchen bis zu den Ohren um das gruselige Grün bloß nicht berühren zu müssen.
Jedes Mal wenn ich eine Decke mittig auf den Rasen gelegt habe und sie darauf setzte, hätt ich wohl einkaufen gehen können, denn nichts brachte das sonst so quirlige Kind dazu, sich freiwillig vom Fleck zu bewegen.
Wer gerade an meinen Mutterqualitäten zweifelt, dem sei versichert, ich hab es trotz der Verlockung nicht versucht und das Kind hat meine Erziehung bis jetzt recht gut überstanden. Sie ist jetzt fast 16 und spricht noch mit mir.
Doch zurück zu meinem Freund, dem Gras.
Naiv wie ich, als Neurasenbesitzer war, dachte ich: Das war es jetzt!
Gießen, mähen, genießen….doch weit gefehlt!
Ich bin mir sicher, das Gras lachte sich leise ins grüne Fäustchen, als ich selig lächelnd den wertvollen Rollrasen bewässerte.
Langsam, stetig, heimlich und hinterhältig verwandelte sich unser makelloser Golfrasen in eine löchrige Wiese, statt gleichmäßigen Halmen fühlten sich auf einmal Gänseblümchen, Löwenzahn und vor allem Klee pudelwohl. Zudem bildeten sich an hoch frequentierten Punkten zuweilen erdige Glatzen im Grasteppich.

Mein Mann kämpfte tapfer! Dünger, Rasenpflaster, MoosEX und andere spezielle Chemikalien kamen zum Einsatz. Das wiederum führte dazu, dass ich Kinder und Hunde tagelang nicht in den Garten lassen wollte, aus Angst ihnen würde ein zweiter Kopf wachsen.
Egal was wir taten, das Gras wurde dünner, die Kräuter machten sich breit und der Klee lockte die Bienen an, die wiederum eine magische Anziehungskraft auf tapsige Kinderfüße zu haben scheinen.

Mittlerweile war ein neuer Mitbewohner in unseren Garten eingezogen. Eine Fundschildkröte vom Weinberg erfüllte mir einen lang gehegten Traum aus Kindertagen.


Nun kam also wieder Bewegung in die Gartengestaltung und ein Gehege wurde angelegt. Ich beschäftigte mich mit artgerechter Haltung für europäische Landschildkröten und da wurde eines recht schnell klar: Das Gras muss weg und Wildkräuter her!
Wenig verwunderlich war das ein Punkt, mit dem mein Mann anfangs doch ziemliche Schwierigkeiten hatte und so wurde um jeden Quadratzentimeter Grasnarbe, den ich abstechen wollte, hitzig diskutiert.
Ich muss leider zugeben, auch hier war ich wieder ziemlich blauäugig.

Dachte ich doch, da sich die Kräuter in unserm ehemals perfekten Rasen sowieso unkontrolliert vermehren, würde sich das verbliebene Gras nun kampflos in sein Schicksal ergeben und einfach zu entfernen sein. So wäre es dann ein leichtes leckere Wildkräuter für die Schildkröten zu kultivieren. Dem Gras schien es ja bei uns ohnehin nicht sonderlich zu gefallen.
Im Stillen hat das Gras wahrscheinlich nur auf so eine Kampfansage gewartet und war von da an erst richtig motiviert, denn ich konnte es gar nicht so schnell ausrupfen, wie es sich hinter meinem Rücken wieder fröhlich angesiedelt hat.
Ich gab mir wirklich Mühe, im Rahmen meiner Möglichkeiten.
Kiloweise teure Samen, 5 verschiedene Sorten Wegerich, Malven und Wau und vieles mehr, doch was sich nicht die Spatzen klauten, wurde beim Keimen erstickt von fiesem Gras.
Nicht unbedingt hilfreich war auch eine Aktion meines Mannes, bei der er tatsächlich eine Tüte Rasensamen in meinem mühsam entgrasten Gehege verteilt hat. Wer auch Schildkröten hält weiß, wie knapp er in diesem Moment der Gefahr entgangen ist, dass ich ihn in der Überwinterungsgrube versenkt hätte oder zumindest einem ausgewachsenen Ehestreit.
Jedes Jahr wuchs das Gehege und schrumpfte die ehemals so liebevoll umsorgte Rasenfläche, bis vor drei Wochen auch das letzte bisschen Gras abgestochen und aus dem Garten verbannt wurde.
Unser Garten besteht jetzt aus 100qm Schildkröten Paradies und 40qm Terrasse und den Rasenmäher können wir nun getrost verkaufen.
Aber war es das, in Zukunft, mit dem Gras?


Auch ich habe dazu gelernt und bin mit mittlerweile sicher:
Natürlich wird das Gras niemals aufgeben, denn es ist und bleibt ein Sadist!
Ich kann rupfen und jäten, schottern und zupfen aber es wird kommen.
Unaufhaltsam
Hartnäckig
Es hat ja sonst nichts zu tun.

Und wenn ihr mich sucht, im Frühjahr, Sommer oder Herbst, ist es nicht unwahrscheinlich, dass ihr mich dort findet.
Im Gehege, auf den Knien, mit dreckigen Fingernägeln, während ich versuche einen Büschel Gras mit samt der Wurzel auszurupfen, ohne den tollen Rainkohl, der daneben steht, zu beschädigen.

Was tut man nicht alles?!

Text und alle Bilder: Alexandra Martin. Einen ausführlichen Gehegebaubericht von der Autorin lesen Sie hier. Alle Rechte bei der Autorin.

 

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