Das Temperaturmanagement im Herbst – eine Herausforderung

Von Gunda Meyer de Rojas, Autorin des Buches „Die Überwinterung von Europäischen Landschildkröten“
(Achtung: Affiliate-Link zu Amazon) 

In Schildkröten-Ratgebergruppen häufen sich derzeit die Fragen nach den richtigen Temperaturen für die Übergangszeit. Heizung an? Heizung aus? Jetzt schon in den Kühlschrank? Verunsicherung macht sich breit. Bisweilen wird das Gefühl vermittelt, die Qualität der Schildkrötenhaltung steigt mit der Anzahl der betriebenen Heizgeräte.
Ein gut gemeinter Rat lautet: „Richte dich GANZ EINFACH nach den Temperaturen im natürlichen Lebensraum der Schildkröten!“ Leichter gesagt als getan. Die Lebensräume sind vielfältig und die Temperaturen sind es auch.

Ein Beispiel für die Temperaturen am 02. November 2019:
Nacht/Tag
Varna: 7/11°C,
Strumatal: 2/14°C,
Kalamata:13/20°C,
Mallorca: 19/24°C
Quelle https://www.wetter.com/

GANZ EINFACH ist das Temperaturmanagement mit Hilfe von Klimadiagrammen also keineswegs.
Häufig werden als Orientierung Temperaturdiagramme aus Städten in der Nähe von Schildkrötengebieten gepostet. Die Temperatur in einer Großstadt wie Thessaloniki hat jedoch wenig mit den ländlichen Orten zu tun, an denen sich die Schildkröten aufhalten. Unter Grasbüscheln oder im Laub, dort wo die Schildkröten ihre Nacht verbringen, entsteht Verdunstungskälte, während in einer Stadt die Gebäude sich tagsüber aufheizen und nachts Wärme abstrahlen. Somit ist besonders nachts der Unterschied zwischen Stadt und Land groß.

T.hermanni boettgeri im natürlichen Lebensraum (Bulgarische Schwarzmeerküste) im Oktober
T.hermanni boettgeri im natürlichen Lebensraum (Bulgarische Schwarzmeerküste) im Oktober

Schlaflose Nächte (nicht bei den Schildkröten, sondern bei ihren Haltern) bereitet zudem folgendes Problem: Es wird behauptet, die Schildkröte müsse ihren Stoffwechsel am Laufen halten, was nur bei Temperaturen von über 30°C möglich sei. Bisweilen liest man sogar 35°C. Bei gemäßigten Temperaturen im unteren zweistelligen Bereich – so wie man sie momentan im natürlichen Lebensraum oder in einem ungeheizten Frühbeet oder Gewächshaus vorfindet, würden sie vor sich hin „dümpeln“. Der Organismus würde auf Sparflamme laufen, was zu irreparablen Schäden und sogar zum Tod führen könne (O-Ton in einer Facebook-Ratgebergruppe). Da das Panzertier keine Nahrung mehr aufnimmt, verbrauche es Energie und verliere Gewicht. Diesem Dilemma könne man nur entkommen, indem man die Schildkröte möglichst bald in einen Kühlschrank überführt, der konstant auf 4 – 6°C gehalten wird.

Jahrelange Temperaturmessungen und Gewichtsvergleiche während der Vorbereitungsphase ergab bei meinen ca. 30 T.hermanni boettgeri und T.hermanni hermanni, dass diese These jeglicher Grundlage entbehrt. Von dem Moment an, in dem sie zur Ruhe gekommen sind, nehmen sie kein Gramm mehr ab, selbst bei wochenlangen Bodentemperaturen von über 10°C. Wenn der Aufenthaltsort die nötige Feuchtigkeit hat, nehmen sie sogar zu. Sie verlieren allenfalls Gewicht, wenn sie immer wieder ausgegraben und unter die Wärmelampe gesetzt werden, da sie dann Kalorien verbrauchen, um sich erneut einzugraben. Ein weiterer Grund für einen Gewichtsverlust ist Dehydrierung. Der Feuchtigkeitsbedarf während der Vorbereitungszeit wird leicht unterschätzt.
Aufzeichnungen zu den wöchentlichen Temperaturen in den Überwinterungsquartieren und Einwinterungs-/ Auswinterungsgewicht

Die Übergangsphase zwischen Aktivität und völliger Passivität dauert auch im natürlichen Lebensraum viele Wochen. Manchmal besteht sogar der gesamte Winter mehr oder weniger aus einer einzigen Übergangsphase, wie auf der südlichen Peloponnes oder auf den Balearen, wo die Durchschnittstemperatur im Winter 10°C beträgt. Niemand sammelt dort die Schildkröten ein und setzt sie monatelang gleichmäßig kalten Temperaturen aus. Auf dem mittleren Balkan, dort wo derzeit die intaktesten Thb-Habitate liegen, kann es dagegen bereits im Herbst ähnlich kühl sein wie in Norddeutschland.
Ohne Frage herrschen derzeit in den Schildkrötengebieten durchschnittlich wärmere Temperaturen als bei uns in Mitteleuropa. Je weiter man nach Süden kommt, desto steiler steht die Sonne und desto mehr Kraft hat sie. Man wird allerdings beobachten, dass sich um diese Jahreszeit nur wenige Tiere der Sonne aussetzen, und wenn dann nur kurzfristig. Die meisten ziehen sich ab Anfang Oktober in schattige, bewachsene Bereiche zurück oder haben bereits ihre Winterquartiere bezogen.

Herbst in einem meiner Frühbeete für Thb-Jungtiere

In einem Frühbeet oder Gewächshaus kann man mit wenig technischem Aufwand habitatsähnliche Bedingungen schaffen. Je nach Wohnlage und Standort des Gewächshauses sind Heizungen oder Lampen erforderlich, aber keine gesunde Europäische Landschildkröte braucht um diese Jahreszeit hochsommerliche Temperaturen.

Bei mir hat sich folgendes Konzept bewährt: Ich stelle meinen Thermostaten im Oktober so ein, dass es unter den Wärmestrahlern ca. 25°C hat. Die Brenndauer reduziere ich von anfangs 8 Stunden auf 5 Stunden. Bei Sonnenschein wird es oft wärmer im Gewächshaus. Jedoch können sich die Tiere jederzeit an kühle, feuchte Orte zurückziehen. Einige Thb nutzen diese Möglichkeit bereits Anfang Oktober, andere nehmen noch bis Ende Oktober Nahrung auf. Thb ziehen sich im Durchschnitt früher zurück als Thh. Nachts heize ich nicht. Kalte Nächte animieren die Tiere dazu, sich tief in die Erde zu graben. Sobald die letzte Schildkröte in ihrem Versteck verschwunden ist – normalerweise Anfang November – werden die Lampen abgebaut. Meine Schildkröten überwintern im Gewächshaus. Thermostatgesteuerte Heizmatten und Heizkabel verhindern Bodenfrost.

Der alte Hermann tankt ein letztes Mal Wärme unter einem Strahler bevor er im Untergrund verschwindet

Fazit: So unterschiedlich, wie die Lebensräume mit ihren Klimazonen dürfen auch die Vorbereitungsmethoden sein. Es gibt nicht DIE einzig wahre Lösung. Eine verantwortungsvolle Schildkrötenhaltung bemisst sich nicht an der Höhe der Stromrechnung. Andererseits wird nicht schaden, wenn man sich an den südlichen Verbreitungsgebieten orientiert, sofern man berücksichtigt, dass zum Klima mehr gehört als die Temperatur, nämlich Feuchtigkeit und Licht.

Text und Bilder. Gunda Meyer de Rojas, 03.November 2019. Alle Rechte bei der Autorin

 

3 Kommentare


  1. Hallo Gunda, vielen Dank für den tollen Beitrag, auch wenn er jetzt schon etwas älter ist, hoffe ich doch eine Antwort auf meine Frage zu bekommen. Ich überwintere meine Tiere seit Jahren in einer Überwinterungsgrube. Ich finde es auch nicht schwierig zu kühle Temperaturen abzufedern aber im Winter 19/20 war ein einfach zwischendurch immer wieder zu warm. So dass ich jetzt überlege sie in den Kühlschrank zu verlegen. Allerdings ist das bei 15 adelten und 32 Jungtieren keine leichte Aufgabe. Was gibt es für eine Möglichkeit die Temperatur in der Grube zu senken? Habe ich mit Eiswürfeln und co versucht aber mit wenig Erfolg. Eine Idee?
    Liebe Grüße Verena Feldmeier


  2. Danke für diesen Artikel!!! Diese erste Erklärung finde ich als absoluter Neuling im Thema Schildkrötenpflege so viel nachvollziehbarer als vieles andere was ich bis jetzt gelesen habe. Unsere zukünftigen Familienmitglieder werden erst im nächsten Frühjahr bei uns einziehen, bis dahin wird das Gehege in Ruhe fertig gestellt. Und ich möchte schon mal vorab im Frühbeet die Temperaturen beobachten. Bis heute „fürchtete“ ich, dass wir dann nächstes Jahr einen Überwinterungskühlschrank benötigen werden. Gerade habe ich mir aber das Buch zu diesem Beitrag bestellt und glaube fast, wir werden unsere kleinen Griechen dann einfach starren lassen wann und wo sie sich dazu entschließen werden… ;-)


  3. Große Klasse. Super nachvollziehbar erklärt. Danke Gunda

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