Selbstversorgergehege gelten gemeinhin als optimal. Zumindest, wenn man die Diskussionen in den sozialen Netzwerken verfolgt, scheint es höchst erstrebenswert, im Garten für seine Europäischen Landschildkröten solche Gehege anzulegen. Dort sollen so viele Futterpflanzen wachsen, dass die Tiere die ganze Saison über mit ausreichend Futter versorgt sind und selbst entscheiden können, was sie wann und vor allem in welcher Menge und Reihenfolge sie fressen.
Zugegeben: Das ist enorm praktisch, Zufüttern entfällt und damit die bisweilen mühselige Futterbeschaffung. Hat man nämlich zum Beispiel eine wunderbare Wiese in der Nähe, von der man sich Kräuter holen kann, ist selbige nicht selten genau dann gemäht, wenn man dringend Pflanzen braucht. Und dann ist nicht nur diese abgemäht, viele andere Futterquellen sind es zeitgleich auch – als ob alles mit allem zusammenhängt.
Da sind die Selbstversorger fein raus: Das Problem haben sie nicht.
Trotzdem bin ich nach wie vor von diesem Haltungskonzept nicht überzeugt. Ich habe Fragen.
Ist das wirklich das Optimum?
Im Februar hat der Tierarzt Ingo Diegel in der Nähe von Wuppertal auf dem dortigen Schildkrötentag einen Vortrag über ernährungsbedingte Krankheiten von Schildkröten gehalten. Einmal mehr hat er im Vortrag bestätigt, was ich auch von anderen Tierärzten auf ähnlichen Vorträgen immer wieder höre: Weitaus mehr Schildkröten erkranken durch zu viel Futter als durch zu wenig – tendenziell füttern Schildkrötenhalter zu viel, zu oft (und ggf. auch falsch) mit den entsprechenden Folgen für die Schildkröten. Im anschließenden Gespräch haben wir uns zu dieser Problematik auch im Zusammenhang mit Selbstversorgergehegen ausgetauscht. Hier nämlich ist die Situation gegeben, dass der Halter kaum mehr eine Kontrolle darüber hat, was seine Tiere fressen, in welcher Menge und in welcher Reihenfolge.
„Meine Tiere laufen durchs Gehege, zupfen mal hier, fressen mal da, knabbern mal dort an den Pflanzen“, erzählen oft diejenigen, die solche Gehege angelegt haben. Das suggeriert, dass die Tiere sehr ausgewogen und gleichmäßig von allen angebotenen Pflanzen fressen: Abwechslungsreich, ausgewogen und dosiert.
Aber stimmt dieser Eindruck auch?
Meine Erfahrungen sind anders. Auch in meinen Gehegen wachsen Futterpflanzen: Malven, Knoblauchsrauke, Löwenzahn, Rainkohl, Disteln, Akelei, Hibiskus und vieles anderes. Abgesehen natürlich vom Hibiskus sind alle Futterpflanzen bis etwa Mitte Juni (also ungefähr jetzt) zusammengefressen – bis auf die, die die Tiere eben nicht so besonders mögen. Wenn sie jetzt durchs Gehege streifen, finden sie nur noch wenig Futter – und das habe ich über den Zaun geworfen: Mal hierhin, mal dorthin.
Wenn ich jetzt zufüttere und zum Beispiel einen Mix aus Klee, Wegwarte, Ferkelkraut, Schafgarbe, Löwenzahn, Spitzwegerich und Brennnesseln zusammengestellt habe, kann ich vorab schon sagen sein, in welcher Reihenfolge aus dieser Mischung gefressen wird und was am Ende liegen bleibt. Das sind Schafgarbe und Wegwarte. Der Löwenzahn hingegen muss als allererstes dran glauben.
Ändere ich den Mix oder füttere nur Schafgarbe oder Wegwarte, um die Fressakzeptanz zu prüfen, werden diese erst ignoriert, dann aber doch irgendwann gefressen. Notgedrungen?
Vielleicht. Es gibt eben heute mal nichts Besseres.
Fallen im August erste Blüten vom Hibiskus, werden diese gierig verschlungen, da würde selbst der frisch gepflückte Löwenzahn verschmäht. Von daher kann ich mir nur schwer vorstellen, dass in einem Selbstversorgergehege wirklich mal hier und mal dort gefressen wird und meine Tiere nicht erst die Lieblingspflanzen radikal vernichten, wie sie das im Frühjahr tun, und dann erst auf andere zurückgreifen.
In vielen Vorträgen wird immer wieder erwähnt, man solle bei seinem Futtermix versuchen, Pflanzen täglich aus mehreren (meist heißt es mindestens fünf) unterschiedlichen Familien anzubieten. Das kann ich, wenn ich das will, durch Zufütterung steuern. Es liegt an mir, wie breit ich variiere. Im Selbstversorgergehege werde ich hingegen kaum steuern können, wenn meine Tiere zwei Wochen lang nur an ihren Lieblingspflanzen herumzupfen und alles andere links liegen bzw. wachsen lassen.
Permanent und unbegrenzt Grünfutter?
Wichtiger aber ist, dass ich durch das gezielte Füttern nicht nur den Futtermix bestimmen kann, sondern auch die Futtermenge und den „Zustand“ der angebotenen Pflanzen. Will sagen: Ich kann gezielt verhindern, dass die Tiere zu viel fressen, indem ich die Menge reduziere oder immer wieder an einigen Tagen gar nicht füttere und sie „nötige“, die angewelkten Reste des Vortages zu fressen oder eben die immer wieder aus dem Boden kriechende Zaunwinde abzufressen. Was sie auch tun.

Ich kann auch im August auf angetrocknetes Futter umstellen. Die Pflanzen bleiben einfach ein oder zwei Tage in der Sonne liegen bevor sie im Gehege landen und nachgelegt wird erst, wenn alles verputzt ist. Bei einem Selbstversorgergehege kann ich das schwerlich tun, denn meine Tiere würden frische Pflanzen jederzeit angetrocknetem Kräuterheu und Futterresten vorziehen. Zur Nützlichkeit der Futterreste für die Vitamin-D Aufnahme empfehle ich als Lektüre einen Text von Hans-Jürgen Bidmon, den Sie auf der Seite von Torsten Kiefer (hier) lesen können.
Schon vor Jahren habe ich entschieden, zwar jede Menge Versteckpflanzen ins Gehege zu setzen (Küchenkräuter wie Lavendel, Rosmarin, Salbei, Melisse, dazu Kiefern, Segge, Fünffingerstrauch, Wacholder, Frauenmantel u.a.), aber mit Futterpflanzen eher spärlich zu bleiben. Ich möchte meinen Tieren nicht die ganze Saison über ewigen Frühling vorgaukeln. Klimatisch habe ich da wenig Möglichkeiten, die Klimatabellen weisen bei uns Temperaturen auf, die im Durchschnitt rund 5 °C niedriger liegen als in den Habitaten. Was wir Sommer nennen, entspricht in der Regel dem Frühling in den natürlichen Verbreitungsgebieten.

Der „ewige Frühling“ wird aber nicht nur durch die Witterung und Temperaturen bestimmt sondern auch durch das Futterangebot.


Wenn ich Bilder von Löwenzahn hierzulande (Blattlänge bis über 30 cm) und Löwenzahn auf Sardinien zur gleichen Zeit vergleiche, wenn ich die kargen, trockenen Hochsommerlandschaften und das Futterangebot in den Mittelmeerländern (vor allem in den südlichen Regionen) sehe, dann weiß ich: In meinem Gehege herrscht Dauerfrühling – zumindest, wenn ich die Tiere das ganze Jahr über mit frischem, proteinhaltigen Pflanzengrün versorge, mit jungen, weichen Trieben und Blättern. Oft wird die These in den Raum gestellt, dass die überaktive Paarungsbereitschaft von Männchen in unseren Gehegen den ganzen Sommer über auch damit zusammenhängt, dass sie sich im „ewigen“ Frühling befinden – sowohl, was Temperatur als auch was das Nahrungsangebot betrifft.

Ich finde die These spannend und einleuchtend, ob es zutrifft, kann ich nicht sagen. Aber für mich ist das ein Grund mehr, ab Mitte/Ende Juni gezielt zu füttern und zu steuern, was und wie viel (oder wenig) die Tiere bekommen. Natürlich könnte ich jetzt die „Probe“ machen und die Paarungswilligkeit meiner Männchen in einem Jahr mit Intensiv-Grünfüttrerung vergleichen mit der im aktuellen Futtermanagement: Ich denke aber nicht, dass hier valide Ergebnisse zu erzielen sind – da spielen auch andere Faktoren eine große Rolle. Dennoch habe ich den Eindruck, es geht in den Gehegen deutlich ruhiger und friedfertiger zu, seit ich nicht mehr der Ansicht bin, die Tiere müssen stets Futter in ausreichender Menge zur Verfügung haben – womit ich keinesfalls dafür plädiere, die Schildkröten hungern zu lassen, Fastentage einzuführen o.ä. Es geht lediglich darum: Nicht jeden Tag Berge frischer Pflanzen anzubieten, von denen nur ein Teil gefressen wird, den Rest wegzuräumen und am Folgetag wieder neues Grün nachzulegen, wie es im Prinzip in einem Selbstversorgergehege ja auch der Fall ist.
Ein solches Futtermanagement kann ich in Selbstversorgergehegen allerdings nicht durchführen. Aus diesem Grund habe ich auch keine.
Da gehe ich lieber regelmäßig Futter holen, wenn auch nicht täglich. Selbst meine Schlüpflinge vom Vorjahr haben kein Problem damit, Blätter, die bereits ein oder zwei Tage in ihrem Gehege liegen, zu fressen.
Mehr frisches Grün gibt es dann wieder im Spätsommer.
Text und alle Fotos: Lutz Prauser. Alle Rechte beim Autor.
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Vielen Dank für den tollen Bericht. Man hat ja schon ein schlechtes Gewissen bekommen, wenn man kein Selbstversorgergehege hat… Aber bei großen und vor allem mehreren Tieren ist das fast nicht machbar. So schnell kann man gar nicht nachpflanzen oder ansähen, wie es gefressen wird 😉
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Danke für den tollen Bericht. Genau so sehe ich das auch. Anfangs hatte ich auch ein „Selbstversorgergehege“ und stellte fest, dass Löwenzahn und Wegerich sofort weggefressen wurde. D.h. sie fraßen wochenlang nur diese beiden Wildkräuterarten, alles andere blieb stehen. Jetzt habe ich gar keinen Löwenzahn und Wegerich mehr im Gehege, sondern nur noch andere unbeliebte Futterpflanzen. Und bei Weidengängen werden die dann auch tatsächlich mal angeknabbert. Ich gehe dreimal pro Woche Futter sammeln und dann verteile ich täglich das Futter wild im Gehege. Löwenzahn und Wegerich ist da nur einmal pro Woche dabei. Von der Sonne ausgetrocknete Futterreste lasse ich auch liegen, die werden sogar gerne noch Tage später gefressen. Hat es geregnet, entferne ich die Futterreste, da dieses hingeworfene Futter schnell fault. Auf diese Art kann ich steuern, was meine Tiere fressen und ich kann dafür sorgen, dass eben auch unbeliebtes Futter angenommen wird.
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Wieder mal ein toller Beitrag!
Sehe ich im übrigen fast genauso! Ich war ja erst vor kurzem auf Mallorca und da gab es Anfang Mai kaum noch was zu fressen. Vieles war schon verdorrt. Unsere Tiere bekommen in den Sommermonaten nur noch selbstgetrocknete Kräuter im Wechsel mit Agrobs. Ich schreibe „Fast“, weil ich vor drei Jahren eine Futterwiese angelegt hatte. Unsere Gehege sind im Frühjahr schon kahl gefressen und daher musste ich immer zufüttern. Mit der Futterwiese wollte ich erreichen, das die Tiere nicht nur „abgestorbene“ Pflanzenreste fressen, wenn das Gehege leer ist (die Zersetzung beginnt ja sofort nach dem Pflücken der Pflanze), sondern auch frisches im längeren Zeitraum auf dem Teller liegt („Frisches“ esse ich ja auch am liebsten)
Aber: Diese Futterwiese (ca. 20 qm) kann ich nach Bedarf öffnen und bleibt aber den ganzen Sommer für die Tiere zu. Somit bleibt ihnen ja auch nichts anderes übrig, als Heu oder Agrobs zu fressen oder sie müssen halt fasten! Erst im Herbst, wenn es auch in den Habitaten wieder Grünzeug gibt, wird die Futterwiese ab und zu geöffnet. Zugefüttert wird aber trotzdem (natürlich nicht so oft wie vorher), da ich so noch eine viele grössere Auswahl an Futterpflanzen bekomme.
Es hat halt alles seine Vor- und Nachteile. Eine Kombination aus beiden (Selbstversorger, Zufüttern) finde ich gut und versuche ich mit der Futterwiese zu erreichen.
Ah ja…Futterreste (siehe Beitrag) bleiben auch liegen und werden Tage später noch gefressen.
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Vielen Dank für diesen Beitrag mit sehr einleuchtender Argumentation. Ich bin auch stets bemüht um ausgewogenes Futter – und ich lerne immer neue Pflanzennamen dazu . Meine Griechen gehen auch gerne noch gegen Abend an bereits Angewelktes, besonders z.B. an Brennesseln. Ich habe kein Selbstversorgergehege, aber auf ca 100qm findet sich immer etwas zum ‚Naschen‘.