Eine unglaubliche Geschichte oder Schildkröten sind ganz schön zäh.

Von Stefanie Geider

Die Geschichte beginnt an einem Samstag Nachmittag im Juli 2016. Ich war mit meiner Mutter und Schwester zu einem Ausflug in Düsseldorf, als mein Mann im Garten einen Hund entdeckte. Verwundert ging er in der Garten und erkannte, dass der fremde Hund aus dem Garten des Nachbarns irgendwie einen Zugang zu uns gefunden hatte. Er sah, dass der Hund einen Gegenstand im Maul hatte. Oh Schreck, unsere siebenjährige Breitrandschildkröte Max!

Der Panzer wies mehrere Bissspuren auf.
Mit vereinten Kräften entfernten der Nachbar und mein Mann die Schildkröte aus dem Maul des Hundes. Sie wurde sogleich untersucht. Geichzeitig tauchte unsere kleinste fünfjährige maurische Schildkröte aus dem Gebüsch auf.
Das war wohl eine Anblick wie im Horrorfilm. Der Rückenpanzer demoliert und blutig.  Im Bauchpanzer fehlte ein Platte, aus der sich der Darm herauswand. Beim Laufen zog die Kleine Darmschlingen hinter sich her.
Mein Mann war so geschockt, das der Nachbar kurzerhand in eine diensthabende Tierklinik fuhr und die kleinen Patienten dort abgab.
Ich erfuhr am darauffolgen Tag von dem Unfall. Sofort rief ich in der Tierklinik an und erfuhrdas die „Kleine 40“ notoperiert wurde. Es wurde ein Teil des Darms entfernt, wieder zusammengefügt und das zerrissene Bauchfell mit zwei Nähten ebenfalls wieder verschlossen.

Ich dacht nur: „Oh Gott, was haben Sie mit dem kleinen Tier gemacht?“

Ich selbst bin Krankenschwester und weiß, dass solche Operationen und deren Heilung schwierig sind, zumal Hundspeichel alles andere als keimarm ist.

Zwei Tage später besuchte ich die beiden Patienten.
Max, die Breitrandschildkröte, hatte nur Löcher im Panzer von den Zähnen des Hundes. Er trug einen Verband und die Wunden wurden nur mit Desinfektionsmittel und einer Heilsalbe behandelt. Zusätzlich bekam er noch ein Antibiotikum.
Weitaus schieriger unser „Allerkleinstes“. Es war noch nicht sicher, ob die Operation gut verlaufen und ob der Darm auch gut zusammengefügt war. Die Naht am Darm muss dicht sein, sonst kommt Darminhalt in die saubere Bauchhöhle und führt zu schlimmen Krankheitsbildern. Ich wurde gefragt ob ich einem CT zustimme.
Ich war alles andere als sicher, stimmt aber zu. Denn nur so ließ sich klären ob der Darm funktionstüchtig ist, oder ob die Behandlung beendet werden muss, was ein Einschläfern des Tieres bedeutet hätte.
Also stimmte ich zu. Der Bauchraum sah gut aus. In der Lunge konnte die Tierärztin noch Panzersplitter aus dem oberen Biss entdecken. Diese konnten gut entfernt werden.
Nach fünf Tagen durfe ich Max mit nach Hause nehmen. Er würde das ganze gereichte Fressen vertilgen. Das war eine gute Nachricht.
Ich musst bei Ihm zuhause nur täglich den Verbandswechel machen. Die Wunden mussten gut gereinigt und desinfiziert werden. Die Verbände müssen so dicht sein, dass keine Fliegen oder Läuse eindringen können. Auch muss er sehr haltbar sein, denn es ist ja bekannt, wie gerne Schildkröten klettern. Da sich bei ihm die Bisse infiziert hatten bekam er noch sechs Wochen lang Antibiose.

Weitaus schwieriger gestaltete sich die Sache bei der „Kleinen 40“.
Nach zehn Tagen Intensivstation bekam ich den kleinen Patienten ebenfalls mit nach Hause.
Sie würde im Terrarium in der Tierklinik einen Koller bekommen. Nun ja, sowas sind sie ja auch nicht gewöhnt. Wobei ich nicht weiss wie so etwas in einer Tierklinik aussieht.Aber so schön wie ein Garten wird es nicht sein. Schildkröten sind da wohl eher selten Gast.
Zuhause mussten wir die Therapie natürlich weiterführen. Ich wusste da noch nicht, dass es sich bis auf ein halbes Jahr und länger hinausziehen würde.
Die „Kleine“ bekam täglich 3x mittels einer dünnen Spritze Nahrung in den Magen eingeführt. Dazu mussten wir sie hinter den Kiefer schnappen, durch leichten Druck den Kiefer öffnen und dann die Spritze bis zum gefühlten Bauchnabel einführen. Das gefällt den Tieren natürlich nicht und kleinen Beinchen strampelten ganz schön.
Schon ein bisschen gruselig, jedoch mit zunehmender Übung wird es leichter.
Alle zwei Tage gab es eine Infusion in ein hinteres Beinchen. Alle drei Tage Antibiose in die Halsregion sowie Schmerzmittel und Vitamin B Komplex zur Appetitanregung.
Es musste jeden zweiten Tag der Verband gewechselt werden. Im unteren Panzer fehlte eine komplette Hornplatte.Das Bauchfell mit den Nähten war zu sehen. Es stand auch mal im Raum, dass eventuell eine Hornschildtransplatation gemacht werden muss.
Alle drei Tage mussten wir zum Tierarzt zur Konsulatation. Das ist natürlich Stress pur für die Schildkröten.
Nur die Tierarzthelferinnen und die Tierärztin freuten sich immer über unseren Besuch. Wir waren ja eine sehr interessante Abwechslung im Hunde und Katzen Alltag.
Nach ca. 20 Tagen kam auch das erste kleine Häufchen aus der kleinen Schildkröte. Das hört sich komisch an, aber wir allen waren begeistert und wieder fiel uns ein Stein vom Herzen. So war unser kleiner Patient von einer Darmspülung verschont geblieben. Und es war ein Beweis, das alles in Ordnung war.
Wieder ein Schritt weiter. Nur Fressen wollte die „Kleine“ nicht. Egal welche Leckereinen man ihr auch vorlegte.
Wieder war ich am Zweifeln. Doch eines nachmittags streifte sie durch den Klee und nam auch ein paar Bissen zu sich. Wieder ein Stein weniger.

Von Anfang an war klar, dass unsere „Kleine“ keinen Winterschlaf machen kann.
Wir bauten in userem Gästezimmer ein schönes Terrarium in einer Größe von 1,2 m³ mit der ganzen Licht und Wärmetechnik. Die Kleine gewöhnte sich auch an das. Nur leider stellte sie im Dezember das Fressen ein. Auch mit der ganzen Lichttechnik lässt sich die Natur nicht überlisten. Die Zwangernährung musste also weitergeführt werden.
Die Wunden verheilten jedoch sehr gut, sodass der Verbandswechsel auch nicht mehr eine Stunde Zeit in Anspruch nam, sondern schnell erledigt war.
Man muss sich bewusst machen, dass Schildköten nicht gerne angefasst, auf den Bauch gedeht werden oder sonstige Dinge gerne machen. Aber unsere kleine Kämpferin hat alles ertragen. Auch heute noch ist sie weniger scheu als unsere anderen Tiere.
Im Januar 2017 war der letzte Tierarztbesuch und die Behandlung endlich abgeschlossen. Auch benötigte sie nun keine künstliche Nahrung mehr, da sich der Apetitt wieder steigerte.
Im März kam sie dann zu den anderen in das Frühbeet und in den Garten.
Wir dachten, nun ist wirklich alles überstanden.
Jedoch schien unsere Kleine völlig durcheinander zu sein. Der fehlende Winterschlaf machte sich bemerkbar.
Sie nahm wieder ab und bewegte sich auch nicht so wie früher. „Wir müssten Geduld haben“, sagte die Tierärztin, mit der ich mich kurzgeschlossen hatte.
Also gab es wieder Nahrung mit der Spritze, ab und an Infusionen und Vitamin B Kompex.
Sie kämpfte sich mit schwankenden Gewicht bis in den Dezember, bis sie sich eingrub. Mit einem Gewicht von 172 g. Oh jeh. Mittlerweile war sie ja schon 5 Jahre.
Den Winter über bangten wir und waren mehr als erleichtert, als sie mit 178 g am 14.03.2018 wieder auftauchte.

Bauchpanzer von Max

Das Jahr 2018 war ja ein wirkliches Schildkrötenjahr. Herrlich warm und wenig Regen oder kalte Tage.
Unsere „Kleine 40“ war nun endlich wieder ganz normal. Sonnte sich am Morgen, ging dann auf Fresstour, chillen am Nachmittag und wieder schön Fressen um sich mit vollen Bauch wieder hinzulegen.
Am 18.10 2018 hat sie sich wieder vergraben, jedoch kam sie nicht über die 200g hinaus.( Im Sommer hatte sie auch mal mehr Gewicht)
Aber ich denke das liegt an dem reduzierten Darm. Sie kann wohl einfach nicht so viele Nährstoffe aufnehmen. Sie wird wohl immer unser „Allerkleinstes“ bleiben.
Und auch Max ist wieder topfit
Nach diesem Jahr können wir sagen, der Aufwand hat sich gelohnt.
Es ist wunderschön wenn wir unsere kleine Kämpferin im Garten weilen sehen. Mittlerweile frisst sie auch viele unterschiedliche Naturkräuter und Blüten. Das war nicht immer so. Wir, mein Mann und ich, haben in dieser Zeit sehr viel über Schildkröten gelernt. Wir haben Ihnen ein schönes natürliches Revier gestaltet und sind immer noch verwundert, welche Verstecke sie sich suchen können um sich vor unseren Blicken zu schützen.
Wir sind dankbar, dass der Chirurg in der Klinik, (der sich nicht mit Reptilien auskennt und so eine Operation zum ersten Mal durchgeführt hat) so eine tolle Arbeit hinbekommen hat.
Auch bin ich der Reptilienärztin sehr dankbar, dass sie mir immer Mut gemacht hat und ich sie jederzeit mit Fragen Sie behelligen durfte.

Nun warten wir wieder mit Spannung auf das Frühjahr und freuen uns wieder auf ein hoffentliches tolles Schildkrötenjahr 2019.

 

6 Kommentare


  1. Die Versicherung vom Hundbesitzer hat die Rechnungen übernommen. Auch das Geld für das Terrarium. (haben wir jedoch selbst gebaut).
    Die Kosten beliefen sich auf 2500 ,- €.
    Wir hatten also Glück gehabt.
    Wenn die Rechnung höher gewesen wäre, hätte die Versicherung einen Nachweis verlangt, wie hoch die Anschaffungskosten waren. Wäre also ggf noch spannend geworden.


  2. Grausam, so ein Hunde-Überfall…..
    Ihr habt sehr viel durchgemacht, und mental quasi mit vielen Nerven bezahlt – hat euch denn der Hundebesitzer, der seine Aufsichtspflicht deutlich verletzt hat wenigstens die TA-Rechnungen erstattet ? (Ich schätze nicht, habe da leider eigene schlechte Erfahrungen.
    Ich hoffe aber, ich irre mich !) Alles Gute für eure verletzten Tiere !


  3. Der Nachbar war auch besorgt. Er hatte auch mal 2 Schildkröten.


  4. Dem Nachbarn hat es auch sehr leid getan. Er hatte auch mal 2 Schildkröten.


  5. Der Artikel ist sehr lesenswert. Das Martyrium von Max, dem Allerkleinsten und den beiden „Gartenbesitzern“ hautnah erlebbar. Gottlob mit „Happy End“ :-)


  6. Omg……ich bin geschockt und gerührt zugleich, das hat sicher viel Kraft und Nerven gekostet.
    Wie hat sich der Nachbar danach zu Euch verhalten?

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