Juni 2018 – nach lang anhaltender Schönwetterperiode regnet es mal wieder in Strömen. Das Thermometer zeigt nur noch 15 °C an, zwei Tage zuvor waren es noch 30 °C.
Unablässig tropft das Wasser von den Pflanzen, an den niedrigsten Stellen im Gehege bilden sich erste kleine Pfützen. Kein Grund zur Beunruhigung, ich weiß, dass andere Schildkrötenhalter Land unter bzw. Gehege unter gemeldet haben. Dazu wird es zum Glück bei mir nicht kommen, Wetterbesserung ist in Aussicht, und noch kann der Boden das Regenwasser aufnehmen. Aber so ganz langsam verwandeln sich die Erdflächen zu einem matschigen Untergrund. Es ist dieses Wetter, bei dem man sprichwörtlich keinen Hund vor die Tür jagen möchte. Ganz zu schweigen davon, selbst rauszugehen.
Die Schildkröten halten sich alle im Warmen und Trocknen auf. Alle. In beiden Gehegen sitzen die Tiere in den Frühbeeten.
Dort hat es knapp 30 °C – unter dem Kegel des Strahlers dürfte es etwas mehr sein. Ein kurzer Kontrollgang hat den Tieren genügt, dass sie sich entscheiden, heute den Tag lieber drinnen zu verbringen.
Warum?
Weil sie es können.
Oder anders gesagt: Weil sie die Möglichkeit dazu haben. Auch an den Tagen der Schafskälte im Juni, als die Temperaturen noch einmal schlagartig nach unten gegangen sind ohne dass es regnete, bevorzugten es die Tiere, den Tag im Warmen drinnen zu verbringen:
Womit ich mich auch weiterhin jeder Argumentation verweigere, die Haltung mediterraner Schildkröten in unseren Breitengraden wäre ohne Gewächshaus oder Frühbeet und ohne die darin enthaltene Technik (heute oft Kalthaltung genannt) möglich und problemlos durchführbar.
Meine Tiere belehren mich eines besseren.
Europäische Landschildkröten sind wechselwarme Tiere (wie alle Reptilien), d.h. sie können keine eigene Körperwärme durch „Fettverbrennung“ generieren. Daher sind sie auf Außenwärme angewiesen.Wenn die nicht in genügender Höhe vorhanden ist, fährt der Organismus zwangsläufig alle Körperfunktionen runter. Das betrifft vor allem den Stoffwechsel.
Natürlich kann man Schildkröten bei 5 °C- 8 °C niedrigeren Durchschnittstemperaturen halten als es in den Mittelmeerländern der Fall ist. Die Tiere können damit leben – auch irgendwie. Die Folge ist aber ein wesentlich langsamerer Stoffwechsel, höhere Verweildauer der Nahrung im Darm und ein entsprechend anderer Abbau der Nährstoffe. Solche Tiere sind deutlich anfälliger für Parasiten und auch für Krankheiten. Es gibt keinen Grund, dass ich meine Tiere dem aussetze.
Tiere, die sich während kalter, regnerischer Tage im Sommer eingraben, fangen viel zu früh an, ihren Organismus auf die Winterstarre vorzubereiten und verkürzen ihre Aktivitätenphase zunehmend. Ihr Instinkt sagt ihnen, dass es Herbst wird, obwohl noch nicht mal der Hochsommer begonnen hat. Aber die Temperaturen entsprechen denen in den natürlichen Verbreitungsgebieten im Oktober.
Mehrere Millionen Jahre haben sich die Testudo-Arten evolutionär an die Lebensbedingungen rings ums Mittelmeer perfekt anpassen können. Wenn wir Tiere aus diesen Klimazonen in andere umsetzen, werden sie sich nicht innerhalb eines Tierlebens oder ein paar weniger Generationen vom Organismus her daran anpassen können. So schnell funktioniert Evolution nun mal nicht. Wäre dem so, dass sich Landschildkröten nördlich der Alpen an unsere Klimaverhältnisse anpassen könnten und damit zurecht kämen, dann würde es hier auch wildlebende Tiere geben. Gibt es aber nicht…
Mehr muss man dazu eigentlich nicht sagen.
Text und Foto: Lutz Prauser. Alle Rechte beim Autor
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Hallo Herr Pauser,
Sie sagen, dass man Landschildkröten (entgegen Ihrer Pflegepraxis) zwar auch bei 5 bis 8 °C niedriger Durchschnittstemperatur als im natürlichen Lebensraum halten könnte, dass solche Tiere dann aber deutlich anfälliger für Parasiten und Krankheiten seien.
Gibt es dafür verlässliche Studien? Ich möchte diese Aussage jedenfalls bezüglich ihrer Allgemeingültigkeit bezweifeln und werde demnächst zu diesem Themenkreis ein Messprogramm durchführen bzw. mir meine älteren Aufzeichnungen im Habitat nochmals vornehmen. Über das Ergebnis werde ich dann je nach Umfang entweder hier oder in meiner Website http://www.schildi-online.eu berichten.
Die derzeitige Hitzeperiode mit Höchstwerten von 30-34 °C (im Schatten) bietet übrigens eine gute Möglichkeit, die Reaktion unserer Pfleglinge auf diese hohen Temperaturen zu beobachten. Dies tat ich aktuell bei einer Spornschildkröte (s. Bild, Zoo Augsburg). Die Art kommt bekanntermaßen in der afrikanischen Sahelzone mit typischen Tageshöchst- bzw. Tiefsttemperaturen im August von 35 bzw. 25 °C vor. Man sollte also meinen, dass Spornschildkröten sich bei uns bei der momentanen Witterung besonders wohl fühlen und aktiv sind. Doch das Gegenteil ist der Fall: an diesen heißen Tagen wird der Stall nicht wie sonst am Vormittag zum Sonnen verlassen, obwohl das Thermometer um diese Zeit erst knapp über 20 °C zeigt, das Verhalten im Stall ist über Stunden hinweg fast lethargisch und gefressen wird selbst um 13 Uhr trotz einer Carapaxtemperatur von mittlerweile 28-30 °C (noch) nicht. Dies ändert sich erst dann, wenn die Außentemperatur zwischen 15 und 16 Uhr auf 25-30 °C gefallen ist (s. Bild). Selbst dann wird aber erst mal im Schatten geruht – bevor schließlich das typische Grasen beginnt. Aufgefallen ist mir auch, dass sich die Aufenthaltszeit im Freien verschiebt: während an weniger heißen Sommertagen bereits gegen 18 Uhr der Stall aufgesucht wird, erfolgt dies derzeit verzögert erst gegen 20 Uhr.
Ich vermag also nicht recht einzusehen, warum es beispielsweise der hier behandelten Art schaden würde, wenn wir sie an kühleren Sommertagen statt 34 °C „nur“ einer Temperatur von z.B. 28 °C „aussetzen“. Tendenzmäßig gilt dies nach meinen Erfahrungen auch für andere tropische und europäische Landschildkröten.
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Guter Artikel! Danke dafür.
Den werde ich künftig immer verlinken, wenn jemand wieder auf seine Kalthaltung schwört, ohne Frühbeet, ohne Gewächshaus und ohne jede Technik für den Notfall. .
Irgendwann muss doch auch mal der hinterletzte Kalthalter verstanden haben, dass es ohne Frühbeet oder Gewächshaus eben nicht geht. Solche Artikel helfen dabei.
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Sehr guter Artikel!!!
Hoffe, das auch viele diesen Artikel lesen die meinen keine Frühbeete oder Gewächshäuser anbieten zu müssen, weil es in ihren Habitaten ja auch keine gibt!