Erzähl mal (Folge 01): Armer Oskar

vignetteWie bereits angekündigt, hier der erste Beitrag unserer neuen Serie Erzähl mal… von Regina Conrad. Wir starten allerdings nicht mit Schildkrötenliebe im Kindesalter sondern mit Oskar:

Mein Mann erwischte mich als heimlich auf den Portalen im Internet schaute, die Landschildkröten zum Kauf anbieten.
„Ich will keine Schildkröte mehr, es reicht! Du hast es mir versprochen!“
Ich kann mich nicht erwehren, wenn man allein an einem Foto schon erkennt, dass dieses Tier schlecht gehalten wird. Die Beschreibung unter dem Bild unterstrich meine Vorahnung: „Da die Partnerschildkröte im Alter von 13 Jahren gestorben ist, möchte ich jetzt Oskar in ein neues Zuhause geben.“ Die Fotos dieser Anzeige zeigten eine verhöckerte Schildkröte auf Plastik-Kunst Rasen auf einer Strauch- und Schattenlosen Dachterrasse. 350 € sollte sie kosten.
Da mein Mann sich so vehement gegen eine weitere Schildkröte ausgesprochen hatte, klickte ich die Anzeige weg und versuchte, das Tier zu vergessen. So richtig vergessen konnte ich sie aber dennoch nicht und als die Anzeige gelöscht war, tröstete ich mich mit dem Gedanken, dass sie bestimmt in gute Hände gekommen ist.
Zwei Wochen später suchte mein Kollege nach einer gebrauchten Waschmaschine und hielt mir eine Anzeige unter die Nase: „Was meinst du, ob die was taugt?“
Da ich von Waschmaschinen keine wirkliche Ahnung habe, schaute ich auch eigentlich nur aus Höflichkeit auf das Display seines Handys.
Er schien meine Unwissenheit zu spüren und schloss die Anzeige mit den Worten: „Ach egal, ich kaufe mir lieber eine neue, dann habe ich Garantie…“
Den Rest der Begründung bekam ich nicht mehr mit, denn unter der Waschmaschine schaute mir Oskar auf dem grünen Kunstrasen entgegen: „Reduziert, jetzt 250 €!“
Manchmal glaube ich an Schicksal und dieser Tag war Oskars Schicksalstag. Nach der Arbeit rief ich die Halterin an und wollte mir das Tier mal anschauen. Dass ich 250 € in meine Hosentasche steckte, war wohl im Unterbewusstsein.
Eine halbe Stunde Autofahrt brauchte ich und stand vor dem Stadthaus. Nach dem Klingeln musste ich über mehrere Treppen bis ins Dachgeschoss laufen. Die Halterin war freundlich und zeigte mir die Schildkröte: In einem dunklen kleinen Hasenstall mit Stroh war die für ihr Alter viel zu groß geratene Schildkröte eingesperrt, keine Höhle, kein Grün, kein UV Licht, nie Winterschlaf…
Ich war entsetzt und in dem Moment war meine Entscheidung schon gefallen: „Die nimmst du mit, die soll es besser haben, hier überlebt sie nicht mehr lange!“
Die Halterin nahm das Tier heraus, das augenblicklich unter sich machte. Jetzt erst konnte man das völlig verformte Gesicht der Schildkröte sehen, ihr Schnabel war an der einen Seite so lang und schief herunter gewachsen, dass der Schnabel den Kiefer verformte. Feste Nahrung konnte das Tier mit dem Schnabel schon lange nicht mehr abbeißen.
Ich diskutierte nicht lange, übergab das Geld und nahm die Papiere und die schwer atmende Schildkröte mit zum Auto. Im Garten setzte ich sie zunächst einmal in ein separates Gehege und rief meine Tierärztin an. Meine Veterinärin ist ein absoluter Glücksfall, nach vielen Tierärzten, die alle keine Ahnung von Schildkröten hatten, bin ich auf sie gestoßen. In ihrem Garten tigert selbst ein Panzer rum und sie hat sich im Studium besonders auf Schildkröten spezialisiert.
Ich beschrieb ihr den Zustand und konnte Oskar am nächsten Tag zur Untersuchung vorbeibringen.
Höckerbildung aufgrund falscher Ernährung, zu wenig Muskulatur aufgrund des kleinen Stalls, keine Würmer, dafür aber der verformte Schnabel. Sie beruhigte mich: „Das kriegen wir hin, ich habe schon schlimmere Zustände gesehen. Wahrscheinlich müssen wir die Schildkröte in Narkose legen, wenn sie sich zu sehr wehrt, aber wir versuchen es erst einmal so.“
Ein beherzter Griff an den Hals des Tiers und der Schleifkopf routierte schon in der anderen Hand der Ärztin. Oskar hielt still, keine Strampeln, kein Untersichmachen, als wüsste das Tier genau, dass ihm geholfen wird. Das Gesicht war zwar immer noch schief, doch konnte die Schildkröte nach dem Kürzen des Schnabels wieder beißen. Die Ärztin spülte ihm noch vorsichtig die Augen aus, in die ein wenig Schnabelspäne geflogen waren und setzte ihn zurück in seine Kiste.
„Da hat aber jemand Glück gehabt, der wird wieder, nur ein schräger Name für ein Weibchen!“rc-17-01-01
Dass Oskar ein Weibchen ist, habe ich natürlich vorher gewusst, aber der Name hat mir trotzdem gefallen.
Zurück im Garten probierte Oskar seinen neuen Schnabel aus, biss in Klee und Löwenzahn und stellte sich dabei noch ziemlich ungeschickt an. Er genoss sichtlich die Sonnenstrahlen und die Wiese.
Ich hätte nie gedacht, dass Schildkröten traumatisiert sein können, aber seit Oskar weiß ich es besser. Oskar mied viereckige Kästen wie der Teufel das Weihwasser. Bei jedem Gang ins Frühbeet, drehte das Tier förmlich ab und bekam Panik. Es versuchte schnellstmöglich herauszukommen. Ein geeigneter Schlafplatz für Oskar war erst mal schwierig, denn viereckig ging gar nicht.
Mein Mann war nach anfänglichem Schimpfen, dass ich mein Wort gebrochen hatte, derjenige der Oskar verstand. Er baute ihm einen Tunnel, vorne und hinten offen aber mit Panzerkontakt nach oben. Oskar nahm den Tunnel sofort an und war immer abends zum Schlafen in dieser Spalte anzutreffen. Schildkröten erholen sich langsam, bei Oskar kräftigte sich langsam die Muskulatur, das schwere Atmen wurde weniger und das Abbeißen wurde täglich ein bisschen besser.
Im Spätherbst bereitete Oskar sich wie alle anderen Tiere auf die Winterstarre vor und wurde dann später von uns in den Kühlschrank umgesiedelt. Die erste Winterstarre sollte wie ein Jungbrunnen wirken.
Im Frühjahr war Oskar nicht wiederzuerkennen, er stolzierte durch den Garten, denn er hob den Panzer deutlich vom Erdboden ab, knabberte an Sepiaschale und ging zum Schlafen in seine Spalte. Das Gesicht wurde ein wenig gerader.
Wir haben drei Jahre gebraucht, bis bei Oskar die Viereck-Phobie aufgehört hat. Inzwischen hat er einen eigenen Kasten im Frühbeet und schläft dort bei den anderen Tieren. Seine Spalte nutzt er nur noch für den Mittagsschlaf. Allerdings ist seine Angst nicht ganz weg. Mein Mann hat eine neue Höhle gebaut, eher für die kleineren Schildkröten. Oskar hat sie auch inspiziert und kam nicht mehr raus, der Panzer schlug hörbar gegen die Höhlenwände und ein Schnaufen war zu hören, er hatte sich in der Höhle verkeilt und kam weder vor noch zurück. Mein Mann bekam es mit und holte Oskar behutsam aus der Höhle. Oskar haben wir in dieser Höhle nie wieder gesehen, aber seinen Schlafplatz im Frühbeet sucht er fast jeden Abend auf…

Text und Foto: Regina Conrad. Alle Rechte bei der Autorin

Ein Kommentar


  1. Oh man, die Geschichte hat mich sehr bewegt! Danke und alles Gute weiterhin!

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