Kein Obst für Europäische Schildkrötenarten

Von Ines Kosin

Gut gemeint ist nicht immer gut gemacht. Diese Formulierung hört man oft und wenn man Europäischen Landschildkröten (griechischen und maurischen Landschildkröten, Breitrandschildkröten) Obst anbietet, trifft es auch zu. Viele Halter, die Obst verfüttern, wollen ihren Tieren etwas Gutes tun. So wie wir Menschen uns mal etwas gönnen, so soll auch die Schildkröte verwöhnt werden. Dass Obst trotz der schädigenden Wirkung auf dem Speiseplan landet, liegt oft an unzureichendem Wissen oder dass einfach darüber hinweg gesehen wird mit den Worten „Ist doch nur dieses eine Mal.“ Oder „Ich gebe es nur einmal im Monat.“
11840212_1141464025868312_500425221_oGerne wird auch argumentiert mit „Meine Schildkröte wird schon wissen, was gut für sie ist.“ Oder „Ich mache es schon seit xy Jahren so und es geht ihr gut.“
Immer wieder sorgt das Thema für Diskussionen, insbesondere in Foren und auf Plattformen. Sobald jemand ein Bild von seiner Schildkröte zeigt, auf dem diese an einer Erdbeere oder Stk. Banane knabbert, kommt das Rad schnell ins Laufen. Erfahrene Halter bemühen sich um Erklärungen, der Beitragsverfasser fühlt sich angegriffen. Beide Parteien sind enttäuscht, das Ergebnis ist nicht selten, dass Admins eingreifen müssen, um wieder Ruhe in die Diskussion reinzubringen. Wenn alle Argumente nicht überzeugend wirkten, folgen meist Schlussworte wie „im natürlichen Lebensraum gibt solches Obst nicht.“
Und genau das ist der richtige Ansatz. Sich damit befassen, was im unberührten natürlichen Lebensraum wächst (nicht verwechseln mit den Lebensräumen, in die der Mensch eingedrungen ist und somit verändert hat). Denn genau diese unberührten Lebensräume sind unser Vorbild. Sie müssen wir nachahmen, denn auch in Gefangenschaft bleiben die Grundbedürfnisse bestehen. Man kann und soll die Schildkröten nicht an uns, unser Klima oder aufgezwungene Ernährung gewöhnen. Schildkröten dulden es, still und lange. Ein Jahr, zwei Jahre, 20 Jahre oder auch bis über die 50 Jahre hinaus. Doch lange Lebensdauer ist nicht immer Bestätigung guter Haltung. Was das Obst betrifft berichtet beispielsweise Wolfgang Wegehaupt auf seiner Homepage, man kann „Wildfrüchte in keiner Weise mit den für den menschlichen Verzehr gezüchteten wässrigen, süßen, zuckerhaltigen Früchten vergleichen. Sie sind vorwiegend trocken, schmecken fad und enthalten wenig Fruchtzucker.“ Auf die Gefangenschaft bezogen sollte man daher lieber gar kein Obst anbieten oder lediglich wilde Formen wild im Gehege wachsen lassen, als gezüchtete Früchte anzubieten.11837120_1141465465868168_251867521_o

Warum ist Obst nicht für Europäische Landschildkrötenarten geeignet?
Der Verdauungstrakt dieser Schildkröten ist für rohfaserreiche Nahrung ausgelegt. Die Nahrung ist mehrere Tage im Darm „unterwegs“ und versorgt die Schildkröte mit ausreichend Vitaminen, Nährstoffen, Calcium und Rohfaser. Wenn die Schildkröte Fruchtzucker aufnimmt, gärt es aufgrund der langen Passage. Es schädigt die Darmflora und fördert zudem die Vermehrung von Parasiten, welche sich von Fruchtzucker ernähren und somit idealen Nährboden vorfinden. Gleichzeitig entziehen sie wichtige Nährstoffe, welche dann nicht mehr von der Schildkröte aufgenommen werden können. Die Folge sind verschiedene Krankheiten bis hin zum Tod. Ja, es mag absurd klingen, aber Parasiten im Übermaß sind unbehandelt tödlich. Je mehr sich ansiedeln, desto weniger Nährstoffe bleiben für die Schildkröte übrig und die Parasiten führen zum Darmverschluss. Sie verstopfen den Darm, ein qualvoller Tod. Auch eine Wurmkur in einem hohen Stadium kann Gefahren bergen, wenn die Parasiten zwar abgetötet werden, jedoch aufgrund der Menge ebenfalls zum Darmverschluss führen können.

Früher wusste man es nicht besser. Die Schildkröten wurden der Natur entnommen, importiert und kistenweise hier verkauft. Für 5 DM konnte man sich diese Exoten ins Haus holen. Man setzte sie in den Garten, gab Obst und Gemüse, legte sie in die Winterstarre. Noch heute gibt es einige dieser Exemplare und genau deshalb wird gerne kommentiert, dass die damalige Haltung ja nicht so schlecht sein könne, wenn die Schildkröte damit so alt wurde.
Man darf dabei aber nicht verdrängen, wie viele dieser Tiere verstorben sind. Wie viele würden noch leben, wenn man damals das Wissen wie heute gehabt hätte. Eine Schildkröte, die Obst frisst, mag von außen gesund aussehen. Sie frisst, bewegt sich, hat Appetit. Dass die Darmflora zerstört wird, sieht man nicht. Ob sie Schmerzen hat, sieht man nicht. Wenn man sich Bilder von mit Parasiten gefüllten Därmen ansieht, kann man sich vorstellen, dass es kein angenehmes Dasein ist. Sicherlich mag die Erdbeere schmecken oder die Wassermelone erfrischend wirken, aber ist es das Wert, die Schildkröte im Gegenzug leiden zu lassen? Sollte man nicht besser vorbeugend dafür sorgen, dass die Schildkröte gesund leben kann? Muss sich erst das Blutbild, der Kot oder das Allgemeinbefinden negativ verändern, eh man auf die Gabe von Obst verzichtet? Aber selbst wenn man nur selten Obst anbietet und damit nicht gleich eine Schar von Parasiten anlockt oder Organe schädigt, so sollte man dennoch dafür Sorge tragen, dass Schildkröten nur das zu Fressen bekommen, was sie auch vertragen. Ein laktoseintoleranter Mensch meidet ja auch zum eigenen Wohlbefinden Laktose, obwohl Laktose selbst für solche Menschen in Maßen nicht gesundheitsschädigend ist. Aber auch bei Rauchern, die trotz Gesundheitsgefahren alt werden können, heißt hohes Alter nicht gleich, dass das Rauchen gesund ist.
Im Gegensatz zu beispielsweise den Rauchern, die für sich selbst entscheiden, ob sie das Risiko der ihnen bekannten Krankheiten eingehen möchten, wissen die Schildkröten nicht, welche Folgen Obst für sie hat. Hier ist der Halter verantwortlich, nur das anzubieten, was gesund ist. Die Ernährung sollte der Art gerecht werden, artgerecht eben.
11836596_1141464315868283_1183428131_oEs ist ja nicht so, dass wir „böse Halter“ sind, wenn wir „nur“ das „Un-„ Kraut anbieten. Im Gegenteil. Diese Wildkräuter werden von Schildkröten ebenso gern gemocht wie das Obst. Es ist immer etwas Besonderes, weil es saisonal bedingt sich geschmacklich und inhaltlich verändert. Und je nach Saison bieten diese Wildkräuter ihre Blüten. Das ist quasi wie für uns jedes Jahr Spargel oder Kirschen etwas Besonderes sind. Weil es sie nur für kurze Zeit im Jahr gibt und dennoch ist es gesund und lecker. Die Schildkröten freuen sich über frischen Löwenzahn im Frühjahr ebenso wie über getrocknete Brennnessel im Sommer. Sie stürzen sich auf Hibiscusblüten und rennen sofort auf Löwenzahnblüten zu. Sie freuen sich über Mohnblüten oder profitieren vom Spitzwegerich. Es gibt hunderte mögliche Wildkräuter. So viele tolle Sachen, da ist für jeden Schildkrötengeschmack etwas dabei. Man muss nicht mit Fruchtzucker alles durcheinander bringen. Es schadet mehr als dass es von Nutzen ist.

Text und Fotos: Ines Kosin, www.griechische-landschildkroeten.de. Alle Rechte bei der Autorin