In den vergangenen sechs Beiträgen haben wir versucht, die Grundlagen der „Calciumernährung“ bei Schildkröten etwas zu durchleuchten. Auslöser war – und damit kommen wir jetzt wieder ganz an den Anfang zurück – die Frage, ob Eierschalen als Nahrungsergänzungsmittel geeignet sind, oder nicht. Vielleicht werfen Sie noch einmal einen kleinen Blick in den ersten Beitrag dieser Serie vom Januar 2013, in dem wir die Frage und die durchs Internet laufenden Diskussionen kurz skizziert haben. Was ist nun dran an der immer wiederkehrenden Empfehlung, Eierschalen als Calciumquelle anzubieten, was an der gelegentlichen Antwort, dass Eierschalen als Calciumergänzung gar nichts nützen? Um dieser Frage nachzugehen, bin ich von „Pontius zu Pilatus“ gelaufen, immer auf der Suche nach Informationen, wer denn eigentlich die Behauptung aufgestellt hat, Eierschalen sind ungeeignet, und warum?

Es war nicht so ganz einleuchtend, warum Eierschalen nicht als Calciumlieferant geeignet sein sollen. Immerhin bestehen die Schalen aus etwa 94 % Calciumcarbonat. Hinzu kommen 6% organisches Material (Proteine), dazu Spuren von Magnesium- und Phosphor-Anteilen. Dieser sehr hohe Calciumanteil erscheint auf den ersten Blick perfekt. Hinzu kommt, dass Vogeleierschalen in den natürlichen Lebensräumen von Schildkröten gefunden und dort auch gefressen werden, ebenfalls als Lieferant des so wichtigen Calciums. Warum also soll das in menschlicher Haltung nicht funktionieren?
Oft wird auch über die „Schalenhaut“ am Ei-Inneren diskutiert. Fangen wir also mit der Frage an, was das eigentlich ist, dieses Häutchen:
Das Eierschalenhäutchen ist eine Membran, die sich zwischen der kalkhaltigen Schale und dem Eiweiß befindet. Die Formgebung des Eies wird massgeblich durch diese Membran bestimmt und schirmt dessen Inhalt vor dem Eindringen von Bakterien ab. Auch wurden Proteine, Spuren von Osteopontin, Sialoprotein und Keratin als Inhaltsstoffe nachgewiesen.“, beschreibt Ulrike Boettner diese Haut auf ihrer Internetseite, der ihre eigene Diplomarbeit zu Grunde liegt. Und weiter: „Ihre Struktur ist durch hoch kollagenhaltigen Fasern definiert, die wie ein Bindemittel Eiinnenleben und Außenschale vernetzen. Dieses bioploymere Netzwerk sorgt ebenfalls für den Transport von Nährstoffen, die das heranwachsende Küken benötigt. Kollagen ist zudem ein Strukturprotein, dass bei vielzelligen Tieren, aber auch dem Menschen vorwiegend im Bindegewebe aufrtitt. Vor allem Haut, Knochen, … bestehen zu 30% aus diesem Eiweiß.“. Dieses Gewebe besteht hauptsächlich aus Glykoproteinen.
Wer Eierschalen in die Gehege wirft und diese von ihrer „Haut“ befreit, entfernt mit ihr Geruchs- und Aromastoffe, die von verschiedensten anderen Tieren wahrgenommen werden und diese ins Gehege locken könnten (Mäuse, Marder, Ratten, aber auch Fliegen, Ameisen…). Allerdings geht so auch die Attraktivität der Eierschalen für Schildkröten etwas zurück, da der Duft auch Schildkröten zum Fressen „verführen“ kann. Notwendig ist dies im Hinblick auf die Schildkrötenernährung allerdings nicht.

Aber noch immer ist die Frage, ob man nun Eierschalen anbieten sollte oder nicht, unbeantwortet. Bei meiner Recherche bin ich auf den Tierarzt Dr. Michael Pees von der Klinik für Vögel und Reptilien an der Universität Leipzig, Veterinärmedizinische Fakultät, gestoßen. Dr. Pees schrieb mir, dass Calciumcarbonat als Substanz grundsätzlich nur schwer aufgeschlossen und verdaut wird: „Wenn Sie einen Komposter haben, sehen Sie, dass Eierschalen auch nach Jahren noch nicht aufgelöst sind – der Grund ist, dass Calcium als Calciumcarbonat vorliegt, und das ist eine so kaum verdauliche Form.“, wobei sich dies auf eine Verdauung durch Mikroorganismen ohne zuvorige starke Säureeinwirkung bezieht. Bruchstücke von Eierschalen finden sich oft im Schildkrötenkot. Die Schalen werden nicht komplett verdaut: „Was wir bei Schildkröten immer mal wieder sehen ist sogar, dass Eierschalenfütterung in exzessiver Form zu einer Verstopfung führt, weil die Schalen zwar zerrieben, aber nicht verdaut werden und dadurch eine Art Zement im Darm entsteht, der dann verhärtet und das ist ein großes Problem.“
Das von Dr. Pees angesprochene Zerreiben ist allerdings nicht so zu verstehen, dass die Schalen z.B. durch Mahlsteine im Verdauungstrakt der Schildkröten zerstört werden. „Schildkröten sind keine körnerfressenden Vögel! Entweder fressen Schildkröten sehr fein zerstampfte Eierschalen, die verklumpen oder eben nicht.“, ergänzt Hans Jürgen Bidmon, Redakteur der Zeitschrift „Schildkröten im Fokus“. Gemeint ist an dieser Stelle das Zerbrechen von Schalenstücken.
Zurück zur Verdauung: Der Vergleich mit der Kompostierbarkeit von Eierschalen ist umso naheliegender, als bei mediterranen Landschildkröten die Verdauung ja überwiegend im Darm durch Mikroorganismen stattfindet und eben nicht im Magen und die Aufspaltung der Nahrung ja nicht mit Hilfe der aggressiven Magensäuren stattfindet (s. Teil 2 dieser Serie). Zudem sind Schalen von Hühnereiern im Vergleich zu denen vieler anderer Vogelarten (z.B. Singvogeleiern) relativ dick und hart.

Einen weiteren, sehr wichtigen Hinweis verdanke ich Hans Jürgen Bidmon, Redakteur der Zeitschrift Schildkröten im Fokus. Er schrieb mir „…zumindest rohe, nicht abgekochte Eierschalen dürften so viele Defensine (schützen Eier beim Brüten) enthalten, dass sie von der Darmflora kaum angegriffen werden und auch kaum angedaut werden dürften. Was man eigentlich auch beobachtet, wenn man braune Eierschalen verfüttert und sie dann im Kot ausspült und betrachtet, sie sind noch vollständig, einschließlich der äußeren dünnen Pigmentierung. Denn letztere sollte fehlen, wenn da was abgelöst worden wäre. Eierschalen werden aber dennoch wegen der Eihaut und dem Schwefelanteil (Geruch) gefressen, weil schwefelhaltige Aminosäuren essentiell für die Tiere wichtig sind.“.
Diese Defensine sind kleine Proteine (Eiweiße). Sie kommen in allen tierischen Organismen und höheren Pflanzen vor und dienen der Abwehr von mikrobiellen Erregern, vor allem Bakterien, aber auch Pilzen und Toxinen. Wenn also Eierschalen zur Abwehr von Infektionen von außen mit Defensinen behaftet sind, dann dürften diese auch einen Grund abgeben, dass die Mikroorganismen im sehr langen Darm der Schildkröten nicht oder nur schwer in der Lage sind, die Eierschalen zu „verdauen“.
„Anders„, so Hans Jürgen Bidmon, „sieht es bei abgekochten oder lange abgelagerten Eierschalen aus, bei denen der Schutz durch Defensine verloren gegangen ist.„.

Damit müsste die Frage beantwortet sein: Eierschalen sind keine geeigneten Calciumquellen für die Schildkröten, zumindest keine dicken und harten Hühnereierschalen. Es gibt meiner persönlichen Meinung nach besser geeignete, sinnvollere Nahrungsergänzungen.
Ein persönlicher Nachtrag:
Viele Halter werden jetzt sicher denken: Wieso? Meine Schildkröte frisst doch Eierschalen? Ich habe noch nie Schalenreste im Kot gefunden… Dann ist doch alles gut.
Hans Jürgen Bidmon: „Bleibt die Frage warum tun sie das? Manche Schildkröten fressen auch Sand! Denn auch Schildkröten, die zuwenig strukturreiches Futter bekommen oder eine etwas zu hohe Parasitenbelastung haben, fressen solche Partikel als Ballaststoffersatz.“.
Andere Halter werden vielleicht jetzt noch verunsicherter sein und sich fragen: Habe ich unwissentlich etwas falsch gemacht? Es wird doch immer wieder in den Foren von erfahrenen Haltern empfohlen…
Es ist nicht unsere Absicht, liebe Leser, Sie weiter zu verunsichern. Unser Interesse ist es, dieser Frage in unserer Serie sehr intensiv nachzugehen und alle Aspekte zu beleuchten. Bitte bilden Sie sich im Lauf dieser Serie eine eigene Meinung, ob und wie Sie ihre Schildkröten mit Calcium versorgen wollen.
Eierschalen werden Sie zum Beispiel auch immer in meinem Gehege finden. Da ich aber auch meinen Tieren Knochen und Sepiaschulp zur Verfügung stelle, „erwische“ ich sie höchst selten, dass sie mal einen Krümel einer Eierschale aufnehmen.
Warum ich sie trotzdem ins Gehege werfe?
Weil ich sie nun mal habe, weil sie aus Calciumcarbonat bestehen und irgendwann dann doch zerbröseln und dem Boden zu Gute kommen. Sie ersetzen nicht die Kalk“düngung“ zur Abmagerung des Bodens. Aber sie tragen einen kleinen Teil dazu bei. Sie bilden keine Stein- oder Trockenbodenschicht, aber sind ein winziger Teil davon. Schließlich: Einfach in den Müll möchte ich sie dann doch nicht werfen.
„In der allgemeinen Schildkrötenhalterdiskussion wird ja meist nur das Calcium betont, so dass man das Phosphat oft vergisst.“, schrieb mir Hans Jürgen Bidmon als Nachtrag zu den vorangegangenen Beiträgen. „Wenn also Herbivore das Calcium, das sie mit phosphatarmen Pflanzen aufnehmen, nutzen wollen, müssen sie von phosphatreichen Pflanzen entsprechend mehr fressen. Im Freiland ist es gar nicht so leicht an optimale Phosphatmengen zu kommen. Diesbgl. hilft hier manchmal auch das Nagen an Knochen oder das Fressen von Schnecken mehr.“.
In den nächsten Folgen der Serie werden wir uns mit Knochen, Schneckengehäusen und Sepiaschulp beschäftigen und noch einmal auf das Thema Calcium-Phosphor-Verhältnis zurückkommen.
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Text und alle Fotos: (c) Lutz Prauser
Alle Teile im Überblick und mit direkter Verlinkung in die Beiträge:
Teil 1: Was ist Kalk
Dieser Teil beantwortet im wesentlichen, was dieser „Kalk“ eigentlich ist, den Schildkröten zu dringend benötigen. „Kalk“ ist schließlich nicht gleich „Kalk“…
Teil 2 Wie wird Calciumcarbonat „verdaut“?
Wie spaltet sich das Cartbonat? Wie gelangt es in den Körper von Säugetieren und wie ist das bei Schildkröten?
Teil 3: Wozu brauchen Schildkröten Calciumcarbonat?
Warum ist es wichtig, dass Schildkröten ausreichend Calciumcarbonat bekommen?
Teil 4: Calcium und Phosphor – Wie gehört das zusammen?
Man darf das Eine nicht ohne das Andere sehen…
Teil 5:Calcium und Oxalsäure – alles Rhabarber?
Anmerkungen vor den fortgesetzten Warnungen vor zuviel Oxalsäure in der Nahrung.
Teil 6: Natürliche Calciumquellen
Wo finden sich in der natürlichen Ernährung von Schildkröten Spuren von Calcium?
Teil 7: Die Eierschalenfrage
Der Dauerbrenner: Soll man Eierschalen ins Gehege geben?
Teil 8: „Knochen kauen“
Knochen als Calciumquelle für Schildkröten.
Teil 9: „Knochen kochen“
Praktische Empfehlungen zum richtigen Abkochen von Knochen
Teil 10: Schulp – Die Wunderwaffe
Sepiaschulp – Die meistverbreitete Nahrungsergänzung
Teil 11: Schnckenhäuser, Muschelbruch, Perlen
Kristallines Calciumcarbonat für Schildkröten?
Teil 12: Algenkalk und Präparate aus Algenkalk
Alternative Calciumquellen.
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