Unsere Serie über die Calciumernährung von Schildkröten widmet sich heute einem Thema, das ebenfalls oft in Internetforen zur Sprache kommt, dort aber nur angerissen wird. Nicht selten wird in Forendiskussionen vor bestimmten Pflanzen gewarnt, die für Schildkröten schädlich sind. Unter Generalverdacht stehen immer Artischocken, Avocados, Bananen, Nektarinen, Honigmelonen und Tomaten, die von vielen Schildkröten leidenschaftlich gern gefressen würden, wenn sie sie denn zum Fressen bekämen. Immer heißt es, dass diese Pflanzen auf keinen Fall verfüttert werden dürfen, da ihr Phosphoranteil viel zu hoch ist. Das haben Sie sicher schon mal irgendwo gelesen, oder?
Wie sieht es denn nun aus, das ominöse Calcium-Phosphor-Verhältnis?
Teil 4: Calcium und Phosphor – wie gehört das zusammen?
Während wir bereits im vorangegangenen Teil über die Bedeutung von Calcium für die Schildkröten gesprochen haben, kommt an dieser Stelle ein weiteres lebensnotwendiges Element hinzu: Phosphor. Denn auch ohne Phosphor wäre ein Organismus nicht lebensfähig. Phosphate haben im Körper viele wichtige Funktionen. Sie wirken zum Beispiel bei der „Kommunikation“ von Körperzellen mit, spielen eine wichtige Rolle beim Stoffwechsel, sind Bestandteil von Enzymen und der DNA – und ebenfalls in erheblichem Maß von Knochen.
Phosphor muss demzufolge als allererstes von dem Generalverdacht freigesprochen werden, in jedem Fall und immer schädlich zu sein.
Zunächst einmal: Eine bedarfsgerechte Versorgung mit Phosphor ist während des Wachstums für eine gesunde Knochenentwicklung aller Wirbeltiere ebenso wichtig wie mit Calcium. Da das Skelett der Schildkröten (und aller anderen Wirbeltiere) überwiegend aus Calcium und Phosphor besteht, spielen diese beiden Mineralstoffe gemeinsam für die Entwicklung der Knochen eine sehr wichtige Rolle. Deshalb müssen wir hier ein wenig genauer hinsehen: Knochen bestehen zu ca. 65% – 70& aus anorganischem Material ( Hydroxylapatit: Ca10(PO4)6(OH)2 ) und zu ca. 30-35% aus Wasser sowie organischen Substanzen. Hauptbestandteil der organischen Substanzen ist Kollagen, ein Bindegewebs-Protein, das sicher vielen zumindest dem Namen nach aus der Werbung für Antifaltencremes und Anti-Aging-Produkten bekannt ist. Zu dem Kollagen kommen weitere Proteine und Lipide. Entscheidend in unserem Zusammenhang ist allerdings der anorganische Knochen-„Baustoff“: das Calciumphosphat Hydroxylapatit, das im Körper durch Biomineralistation entsteht, also die Ausbildung von Mineralien in lebenden Organismen.
Kommt es, wie bereits in Teil 3 erwähnt, zu drastischen Unterversorgungen an Calcium, wird das Skelettwachstum erheblich gestört. Das gilt auch für Phosphor. Hier haben Über- und Unterversorgungen zunächst eine andere Folge, nämlich Funktionsstörungen der Schilddrüse. Ausführliche Untersuchungen über Schilddrüsenerkrankungen bei Schildkröten hat Ilina Bühler S in ihrer Dissertation „Schilddrüsenparameter bei häufig in der tierärtztlichen Praxis vorgestellten Schildkrötespezies“ angefertigt -> herunterladbar hier.

In Kurzform heißt das: Zu viel Phosphor im Körper führt zu Störungen im Calciumhaushalt. Nimmt eine Schildkröte zu viel Phosphor auf, dann wird sie gleichzeitig in der Calciumverwertung behindert. Für einen konstanten Calciumspiegel im Blutplasma ist ein Hormon verantwortlich, dass in der Nebenschilddrüse gebildet wird. Sinkt der Calciumspiegel im Blut zu stark, „sorgt“ dieses Hormon dafür, dass dem Skelett Calcium entzogen wird. Zu viel Phosphor allerdings regt die Schilddrüse an, genau dieses Hormon zu produzieren. Dieses „überschüssige“ Hormon, das eigentlich einen konstanten Calcium-Ionen-Spiegel im Plasma steuern sollte, bringt nun den Organismus (vereinfacht gesprochen) „ganz gewaltig durcheinander“: Calcium, das bereits in Knochen eingelagert war, wird aus diesen wieder ausgelöst, um den Calciumspiegel im Blut vermeintlich konstant zu halten. Es kommt zu einem verstärkten Abbau der Knochensubstanz, langfristig zu Rachitis und Osteomalizie.
Häufig wird die Faustregel verbreitet, das Calcium-Phosphor-Verhältnis beim Futter Griechischer Landschildkröten solle möglichst bei 2:1 liegen. Nur so lasse sich langfristig eine Erkrankung der Tiere vermeiden. Besser ist jedoch ein deutlich höherer Gehalt an Calcium. Zum einen ist der Bedarf der Tiere generell sehr groß, was man nicht oft genug wiederholen kann, zum anderen kann es im Verdauungstrakt der Schildkröten dazu kommen, dass auch andere gefressene Substanzen mit dem Calcium unlösliche Verbindungen eingehen, dies ist vor allem bei oxalathaltigen Pflanzen der Fall. Davon wird später die Rede sein.
Wie nun mit dieser Fausregel umgehen?
Niemand muss nun anfangen, seine Schildkrötenernährung hochnotpenibel nach einem optimalen Calcium-Phosphor-Verhältnis jeder einzelnen Pflanze auszurichten. Generell aber sollte den Tieren soviel Calcium zur Verfügung stehen, dass auch ein Phosphorüberschuss, der bei bestimmten Pflanzen vorkommen kann, kompensiert wird.
Pflanzen, die per se einen hohen Phosphoranteil haben, sollte man bei der Fütterung der Schildkröten von der Futterliste streichen oder eben nur extrem reduziert anbieten. Dazu gehören die oben genannten Pflanzen wie Artischocken, Avocados, Bananen, Nektarinen, Honigmelonen und Tomaten. Auf den Speiseplan Europäischer Landschildkröten gehören sie sowieso nicht, aber einige Früchte spielen in der Ernährung tropischer Landschildkrötenarten durchaus eine wichtige Rolle.
Aber Achtung!

Tiere sind aber nicht die einzigen Lebewesen, die Phosphor benötigen: Phosphor spielt im Zellstoffwechsel der Pflanzen bei allen Energie übertragenden Prozessen eine zentrale Rolle. Ein Mangel führt dazu, dass die Pflanzen klein und kümmerlich bleiben. Die Blätter zeigen häufig eine ähnlich starre Haltung wie Pflanzen mit Stickstoffmangel. Phosphatmangel bewirkt eine schwache Wurzelbildung, dünne Stängel und eine grau-grüne, teilweise rötliche Verfärbung der Blätter. Phosphor ist aber nicht nur ein Pflanzennährstoff. Phosphordünger erhöhen die Bodenaktivität und insbesondere die Silizium-Phosphate verbessern die Krümelstruktur. Aber ganz so einfach ist die Sache dann doch wieder nicht. (Rheinische Bauernzeitung 11/2009)
Damit ist ein weiteres „Problem“ benannt: Pflanzendüngung. Auch Pflanzen, die an sich eher phosphatarm sind, können in Folge intensiver Düngung erheblich mehr Phosphat anreichern, als sie es normalerweise tun würden. Da gerade Phosphor die Ausbildung von Blüten, Früchten und Ähren fördert, ist Phosphatdüngung in der Landwirtschaft weit verbreitet (s. Zitat oben). Es sind also nicht nur die Stickstoffverbindungen und damit die Nitrate, die über gedüngte Futterpflanzen in die Tiere gelangen können, es kann ebenso Phosphat sein. Daher gilt, und auch das ist eigentlich nichts Neues: Keine Futterpflanzen von gedüngten Feldern und deren Rändern mitnehmen – so verlockend sie auch aussehen mögen, so bequem es auch sein mag, statt kleinblättriger Pflänzchen ihre üppigen Verwandten am Feldrand aufzusammeln.
Aber noch einmal: Wie eingangs erwähnt, ist Phosphor ein lebensnotwendiges Element in der Schildkrötenernährung. Bei einer ausgewogenen Ernährung erhalten Schildkröten jedoch ausreichend Phosphor.
Teil 5: Calcium und Oxalsäure – alles Rhabarber?
Text und Fotos (sofern nicht anders vermerkt): @ Lutz Prauser, 2013.
Alle Teile im Überblick und mit direkter Verlinkung in die Beiträge:
Teil 1: Was ist Kalk
Dieser Teil beantwortet im wesentlichen, was dieser „Kalk“ eigentlich ist, den Schildkröten zu dringend benötigen. „Kalk“ ist schließlich nicht gleich „Kalk“…
Teil 2 Wie wird Calciumcarbonat „verdaut“?
Wie spaltet sich das Cartbonat? Wie gelangt es in den Körper von Säugetieren und wie ist das bei Schildkröten?
Teil 3: Wozu brauchen Schildkröten Calciumcarbonat?
Warum ist es wichtig, dass Schildkröten ausreichend Calciumcarbonat bekommen?
Teil 4: Calcium und Phosphor – Wie gehört das zusammen?
Man darf das Eine nicht ohne das Andere sehen…
Teil 5:Calcium und Oxalsäure – alles Rhabarber?
Anmerkungen vor den fortgesetzten Warnungen vor zuviel Oxalsäure in der Nahrung.
Teil 6: Natürliche Calciumquellen
Wo finden sich in der natürlichen Ernährung von Schildkröten Spuren von Calcium?
Teil 7: Die Eierschalenfrage
Der Dauerbrenner: Soll man Eierschalen ins Gehege geben?
Teil 8: „Knochen kauen“
Knochen als Calciumquelle für Schildkröten.
Teil 9: „Knochen kochen“
Praktische Empfehlungen zum richtigen Abkochen von Knochen
Teil 10: Schulp – Die Wunderwaffe
Sepiaschulp – Die meistverbreitete Nahrungsergänzung
Teil 11: Schnckenhäuser, Muschelbruch, Perlen
Kristallines Calciumcarbonat für Schildkröten?
Teil 12: Algenkalk und Präparate aus Algenkalk
Alternative Calciumquellen.
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